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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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ERSTER TEIL

ERDE IN NOT
Der tungusische Meteor
    In den frühen Morgenstunden des 30. Juni 1908 konnten Zehntausende von Bewohnern Mittelsibiriens eine außergewöhnliche Naturerscheinung beobachten. Am Himmel stieg eine blendendweiße Kugel auf, die sich mit rasender Geschwindigkeit von Südosten nach Nordwesten bewegte. Sie überflog das Jenisseier Gouvernement – eine Strecke von mehr als fünfhundert Kilometern – und brachte unter ihrer Bahn den Erdboden zum Beben, die Fensterscheiben zum Klirren; der Putz fiel von den Wänden, die Mauern bekamen Risse. In den Orten, wo der Meteor sichtbar wurde, versetzte ein gewaltiges Dröhnen Mensch und Tier in panischen Schrecken. Die Bergleute in den Goldgruben ließen ihre Arbeit stehen und liegen … Man hielt das Ende der Welt für gekommen.
    Kurze Zeit nach dem Verschwinden des glühenden Balles erhob sich hinter dem Horizont eine riesige Feuersäule, und im Umkreis von siebenhundertfünfzig Kilometern waren Detonationen zu hören.
    In allen meteorologischen Stationen Europas und Amerikas registrierten die Seismographen die Erschütterung der Erdrinde. Die Luftwelle breitete sich mit Schallgeschwindigkeit aus und erreichte das 970 Kilometer entfernte Irkutsk nach fast einer Stunde, das 5000 Kilometer entfernte Potsdam nach 4 Stunden 41 Minuten und Washington nach 8 Stunden.
    Als die Welle nach 30 Stunden 28 Minuten erneut in Potsdam verzeichnet wurde, hatte sie, rund um die Erde, 34920 Kilometer zurückgelegt.
    Während der folgenden Nächte zeigten sich über den mittleren Breiten Europas silbern leuchtende Wolken von so starkem Glanz, daß der deutsche Astronom Wolf in Heidelberg für einige Zeit das Fotografieren von Planeten unterbrechen mußte. Gigantische Staubmassen waren durch die Explosion in die höchsten Schichten der Atmosphäre emporgeschleudert worden und drangen nach einigen Tagen bis zur anderen Hälfte der Erdkugel vor. Der amerikanische Astronom Abbot, der sich damals gerade mit derartigen Untersuchungen beschäftigte, beobachtete, daß die Durchsichtigkeit der Atmosphäre gegen Ende Juni erheblich abnahm. Die Ursache dieser Erscheinung war ihm zunächst noch unerklärlich.
    Trotz ihrer riesigen Ausmaße fand die Katastrophe in der wissenschaftlichen Welt kaum Beachtung. Im Jenisseier Gouvernement kursierten noch geraume Zeit hindurch phantastische Gerüchte über den Meteor, in denen er zuweilen die Größe eines Hauses, ja sogar eines Berges erreichte. Man berichtete auch von Leuten, die ihn angeblich nach seinem Absturz gesehen hatten; die Einschlagstelle wurde jedoch in diesen Erzählungen gewöhnlich weit hinter die Grenze des eigenen Bezirkes verlegt. Die Zeitungen schlachteten zwar das Ereignis weidlich aus; aber niemand unternahm ernsthafte Nachforschungen, und allmählich geriet die ganze Angelegenheit in Vergessenheit.
    Dreizehn Jahre später las der sowjetische Geophysiker Kulik die Beschreibung des Meteorenfalls von 1908, zufälligerweise, auf einem alten Kalenderblatt. Nicht lange danach bereiste Kulik Mittelsibirien und überzeugte sich, daß im Volke die Erinnerung an die ungeheure Naturerscheinung noch immer lebendig war. Kulik erkundigte sich bei vielen Augenzeugen und konnte schließlich feststellen, daß der Meteor, von der Mongolei kommend, die weiten Ebenen überflogen hatte und irgendwo im Norden in die unwegsame, menschenleere Tundra gestürzt war.
    Von nun an forschte Kulik unermüdlich nach dem Meteor, der in der Fachliteratur als „tungusischer Meteor” bekannt wurde. Er entwarf eine provisorische Skizze des Geländes, in dem seiner Meinung nach der Meteor niedergegangen sein mußte. Diese Skizze gab er dem Geologen Obrutschew, den das Geologische Komitee beauftragt hatte, Untersuchungen im Flußgebiet der Steinigen Tunguska durchzuführen. Obrutschew unternahm im Jahre 1924 eine Expedition und drang bis zur Faktorei Wanowary vor, in deren Umgebung nach den Berechnungen Kuliks der Krater des Meteors zu vermuten war. Er versuchte vorerst, unter den Einheimischen Berichte zu sammeln, was ihm durchaus nicht leichtfiel: Die Tungusen hielten die Einschlagstelle für heilig und wollten den Ort nicht verraten, wo „der Feuergott zur Erde herabgestiegen“ sei. Obrutschew brachte in Erfahrung, daß die Bäume der ewigen Taiga, einige Tagereisen von der Faktorei entfernt, auf einer vielhundert Kilometer langen Strecke in Reihen zu Boden geworfen waren. Der Meteor mußte also mindestens hundert Kilometer weiter nördlich,

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