Die Flusswelt Der Zeit
hinab. Das schnittige Luftgefährt zeigte nicht die geringsten Anzeichen eines maschinellen Antriebs. Es erschien ihm wie ein magisches Schiff aus Tausendundeine Nacht.
Über dem Rand des Schiffes wurde nun ein Gesicht erkennbar. Das Schwebefahrzeug stoppte, und das summende Geräusch erstarb. Neben dem ersten Gesicht erschien ein zweites. Beide waren von langem, glattem, dunklem Haar umrahmt. Plötzlich zogen sie sich zurück, das Summen erklang erneut, und das Kanu schickte sich an, auf ihn zuzusteuern. Etwa anderthalb Meter über seinem Kopf hielt es an. Auf der Wandung befand sich ein einziges, kleines Symbol: Eine weiße Spirale, die nach rechts hin explodierte. Dann sagte einer der Insassen etwas in einer Sprache, die zahlreiche Vokale enthielt und sich wie Polynesisch anhörte.
Unerwartet schaltete sich der unsichtbare Kokon, der ihn umgab, wieder ein.
Die fallenden Körper begannen sich zu verlangsamen und hielten schließlich wieder an. Der Mann, der sich an die Stange klammerte, fühlte, daß eine geheimnisvolle Kraft an ihm zerrte und zog. Da er sich wie ein Ertrinkender an seinen einzigen Halt klammerte, hoben sich plötzlich die Beine unter seinem Körper hinweg, schwebten nach oben und zogen seinen Leib mit sich. Es dauerte nicht lange, und er sah nach unten. Die Hände ließen die Stange los, wurden von ihr weggezerrt, und er hatte die Impression, als entglitte ihm in diesem Moment ebenso das Leben, die geistige Gesundheit und die ganze Welt.
Er begann aufwärts zu schweben und um die eigene Achse zu rotieren, näherte sich dem schnittigen Luftkanu und glitt an ihm vorbei in die Höhe. Die beiden Schiffsinsassen waren nackt, dunkelhäutig wie jemenitische Araber und sahen gut aus. Ihre Züge jedoch waren nordisch und erinnerten ihn an einige Isländer, die er einst gekannt hatte.
Einer von ihnen hielt in der Hand ein Objekt, das entfernt an einen Bleistift erinnerte. Er gestikulierte damit herum, als sei er im Begriff, zu schießen.
Der Mann, der nun frei durch die Luft schwebte, streckte die Arme aus, begann wie ein Wahnsinniger zu rudern, als wolle er das kleine Schiff erreichen, und schrie in einer Mischung aus Wut, Haß und Frustration: »Ich will töten! Töten! Töten!«
Dann kam erneut das Vergessen.
2
Gott stand über ihm, als er im Gras in der Nähe des Flusses auf dem Rücken lag und dem Rascheln der Trauerweiden lauschte. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er fühlte sich so schwach wie ein neugeborenes Baby. Gott stieß ihm mit dem Ende eines eisernen Spazierstocks in die Rippen. Er war ein hochgewachsener Mann in den mittleren Jahren, trug einen langen, dunklen, in mehreren Spitzen endenden Bart und trug den Sonntagsstaat eines englischen Gentleman aus dem 53. Jahr der Herrschaft Königin Viktorias.
»Du kommst spät«, sagte Gott. »Die Rückzahlung deiner Schuld ist schon lange überfällig, verstehst du?«
»Welcher Schuld?« fragte Richard Francis Burton. Er strich mit den Fingerspitzen über seine Rippen, um sicherzugehen, daß sie noch alle vorhanden waren.
»Die Schuld für dein Fleisch«, erwiderte Gott und piesackte ihn erneut mit seinem Stock. »Gar nicht zu reden von deinem Geist. Es geht um die Schuld für dein Fleisch und deinen Geist, die ein und dasselbe sind.«
Burton versuchte sich zu erheben. Niemand, nicht einmal Gott, stieß einen Richard Burton in die Rippen und kam ungestraft davon.
Gott, der Burtons sinnlose Bemühungen ignorierte, zog eine große goldene Uhr aus den Tiefen seiner Tasche, öffnete ihren Deckel, schaute auf seine Hände und sagte: »Sie ist schon lange überfällig.«
Dann streckte er die andere Hand aus. Die Handfläche war nach oben gerichtet.
»Zahlen Sie, mein Herr. Widrigenfalls wäre ich gezwungen, Sie auszuschließen.«
»Auszuschließen von was?«
Dunkelheit senkte sich herab. Gott begann sich in der Finsternis aufzulösen.
Und erst jetzt stellte Burton fest, daß Gott ihm sehr ähnlich war. Er hatte das gleiche schwarze, glatte Haar, das gleiche arabisch wirkende Gesicht mit den dunklen, stechenden Augen, hohen Wangenknochen, vollen Lippen und dem zielbewußt vorgereckten Kinn. Er trug die gleichen langen und tiefen Narben, die die Zeugen seiner Kämpfe mit den Somalis in Berbera darstellten, im Gesicht. Seine Hände und Füße waren klein und kontrastierten mit den breiten Schultern und den schmalen Hüften. Und er trug ebenfalls einen langen, dicken Schnauzbart und den in mehreren Zacken endenden Kinnbart,
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