Schwarze Sonne
Der schwarze Riese
Wie lodernde Wolken hingen die Flammen unter der Decke des Zimmers und schoben sich mit ohrenbetäubendem Getöse auf die Fenster zu. Ein Himmel aus Feuer und Hitze. Es war faszinierend und furchterregend zugleich. Bob starrte wie gebannt auf das Inferno. Ein Balken krachte herab, schlug Funken sprühend auf dem Boden auf und zermalmte einen Tisch. Fontänen aus Feuer und Glut spritzten zur Seite und steckten in Sekundenschnelle alles in Brand, was sie zu fassen bekamen. Einen Vorhang, an dem sich die Flammen wie lebendige Wesen emporhangelten, einen Stuhl, der sofort in einer Feuersäule verschwand, einen Teppich, der zu einem See aus rot glühender Hitze wurde. Und dann explodierten die Fenster. Splitter sausten wie Geschosse durch die Luft, riesige Stichflammen jagten durch die Öffnungen nach draußen und leckten gierig über die Hauswand. Dahinter lag die Stadt. Erst jetzt konnte Bob sie erkennen. Überall brannte es. Der Horizont war ein einziges Meer von Feuerzungen, über denen eine gewaltige Decke aus schwarzem Rauch lag. Etliche Gebäude waren bereits eingestürzt, andere ragten als verkohlte Stummel in den Himmel. Der dritte Detektiv hörte zwar nur das Knistern, Lodern und Prasseln, das aus dem Haus kam. Aber er wusste: dort hinten, in der Stadt, im Herzen der Feuersbrunst, waren sicher noch ganz andere Geräusche zu hören. Rufe, Weinen, Schreie.
»Tja.« Laurence Seinfeld drückte auf die Stopptaste des DVD-Players und das Bild auf dem Fernsehgerät erlosch. »So in etwa muss man sich vorstellen, was nach The Big One los war.« Der Künstler strich sein wehendes, schwarzes Haar zurück und rückte sich die kleine Nickelbrille zurecht. »Ganz schön starker Tobak, was?«
Die meisten Schüler im Raum nickten sprachlos. Der eine oder andere schien regelrecht mitgenommen von den schrecklichen Bildern, die ihnen Seinfeld gerade gezeigt hatte, auch wenn es nur eine nachgestellte Dokumentation des großen Erdbebens in San Francisco von 1906 gewesen war. The Big One, wie es allgemein bezeichnet wurde.
»Na ja, ganz nett, das Feuerchen.« Dillon rümpfte gelangweilt die Nase und sein Freund Wayne gackerte zustimmend.
Bob warf Denzel einen vielsagenden Blick zu und verdrehte die Augen. Klar doch. Die beiden Angeber mussten wieder einen auf cool machen. Bob fragte sich zum wiederholten Male, wieso sich die zwei Männer überhaupt für diesen Malkurs angemeldet hatten. Sie hatten keinerlei Talent, null Interesse und waren dämlicher als ihre Malpinsel.
Denzel lächelte ihm freundlich zu und zwinkerte. Er wusste genau, was Bob meinte.
»So, meine Lieben!« Seinfeld machte eine weit ausholende Armbewegung und sah dabei mit seiner spitzen Nase aus wie ein Storch, der nicht vom Boden kommt. »Und jetzt lasst die Bilder auf euch wirken!« Aus blitzenden Augen sah er seine Schüler an. »Lasst sie tief in euch eindringen!« Seine Hände gruben Löcher in die Luft. »Lasst euch von ihnen fortreißen!« Ein Sprung an zwei Tischen vorbei. »Und dann – haltet eure Empfindungen auf dem Blatt fest, das vor euch liegt! Lasst die Farben sprechen, die Formen! Ich möchte Flammen sehen, die euch aus den Händen schießen, Feuer, das eure Seele entzündet, Glut auf euren Gesichtern!«
Bob unterdrückte ein Grinsen. Seinfeld war schlichtweg ein Original. Gerade jetzt sah er sie an, als wäre der Leibhaftige in ihn gefahren. Er tat alles, um die Leidenschaft seiner Schüler für die Malerei zu entfachen. Das war auch einer der Gründe, warum sich Bob für diesen Kurs eingetragen hatte. Der andere war, dass Seinfeld wirklich gut war. Denn wenn sich Bob schon die Mühe machte, seit Monaten zweimal die Woche nach Los Angeles zu fahren, um seine theoretischen Kunstkenntnisse mit ein bisschen Praxis zu unterfüttern, dann bei einem Künstler, der etwas draufhatte.
»Ja!«, stieß Martha, die blasse Bankangestellte, begeistert hervor und tauchte ihren Pinsel ins Wasserglas. »Feuer! Flammen! Glut!« Der Pinsel verschwand im Zinnoberrot des Farbkastens.
»Sehr gut!« Seinfeld machte einen riesen Storchenschritt auf sie zu. »Lass dich treiben, Martha! Fühl die kreative Kraft in dir!«
»Lassen wir es brennen!« Edgar schwang kühn den Skizzenbleistift. Der rüstige Rentner war bei Seinfeld Dauergast, wie Bob wusste.
»Ja, Eddy, fackel alles ab!« Seinfeld zeigte auf ihn und schritt auf Laura zu, die hübsche Verkäuferin in der letzten Reihe. »Laura! Mein Licht! Mein Augenstern! Sei meine Muse! Inspiriere
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