Die Fratze: Horror-Geschichte
Es war der letzte Tag meines bisherigen Lebens. Danach war alles anders. Halloween 2001, das erste Halloween nach den Anschlägen, die mehr als nur ein Leben veränderten. Ich glaube nicht an Omen, aber was waren die Wahnsinnsflüge dieser Terroristen anderes als das? Ein Omen, das viele übersahen, weil es sie überwältigte. Denk mal darüber nach! Wenn alles mit allem zusammen hängt, dann war diese Katastrophe für uns alle ein Zeichen. Keines für die Masse, das meine ich nicht. Sie war eine persönliche Warnung an jeden Einzelnen. Und sie wollte mir sagen: Dieses Halloween wird dich verändern, Jakob, es wird dein Herz zerreißen und dich zu dem machen, was du verabscheust.
Als die Anschläge geschahen, machte ich mir keine Gedanken über ihren Einfluss. Wir nehmen die Dinge immer erst dann ernst, wenn sie uns betreffen. Oder kennst du jemanden, der tagtäglich die Verhungernden in Afrika beweint? Nein, solange es uns nicht direkt betrifft, bleiben wir gelassen. Doch das ist nur eine Maske. Nichts weiter. Es zählt, was darunter ist. Und davor fürchten wir uns, vor dem wahren Gesicht.
Alles beginnt mit einer Maske, die wir mit dem Verlust der Kindheit zu tragen beginnen, und alles endet im erstarrten Totengesicht. Auch meine Geschichte beginnt mit einer Maske. Denn bevor wir sie fallen lassen können, müssen wir sie erst einmal tragen.
Halloween, das Fest der Verkleidungen. Man trägt eine Maske über der Maske. Sozusagen. Und was wir an diesem Tag tragen wirkt echter als das, was darunter ist.
Meine Schwester und ich, wir feierten Halloween schon seit Kindertagen. Lange bevor dieses Fest so bekannt wurde in Deutschland, bevor du in jedem Supermarkt alles Notwendige erwerben konntest, was sonst nur zur Karnevalszeit erreichbar war. Meist nähte meine Schwester unsere Kostüme. Jedes Jahr waren es andere. Ob wir diesmal Räuber und Piraten oder Engel und Heilige sein wollten, hing stets von den Filmen und Büchern ab, die wir die Monate zuvor konsumiert hatten. Ich glaube, wir waren zehn Jahre alt gewesen, als wir das erste Mal um die Häuser zogen. Und wir waren schon fünfzehn oder sechzehn, als wir mehr wollten als das. Uns verlangte es nach anderen Kostümen, nach intensiveren Erfahrungen.
Es begann mit den Filmen, die wir schauten. Oder es begann schon davor, mit unserer Neugier, sie schauen zu wollen. Passend zum Festtag sahen wir nun alljährlich Halloween , den Klassiker von John Carpenter. Jahre bevor Rob Zombie ein Remake drehen sollte, das mir den Atem verschlug. Nein, eine bestimmte Szene verschlug mir den Atem. Weil sie mich an das Halloween nach den Anschlägen erinnerte.
Es war also der Klassiker von 1978, der mich dazu inspirierte, ein Messer aus dem Besteckkasten unserer Eltern zu nehmen – das lange Fleischermesser natürlich, nicht so lang wie im Film und doch imposant – und am besagten Abend hinter meiner Schwester herzulaufen, einen irren Blick zu imitieren und ihren Namen zu schreien.
„Larissa!“, schrie ich und bemühte mich um eine kratzige, tiefe Stimme, „Larissa, ich werde dich kriegen und zerrr-fetzzzz-eeen! Du kannst mir nicht entkommen!“
Meine Schwester versuchte nicht zu lachen, wenn sie bei der Jagd durch das Wohnzimmer lief, an unseren Eltern vorbei, und dabei um Hilfe rief.
„Er ist verrückt geworden! Mama! Papa! Tut doch was! Jakob ist verrückt geworden!“
Ich sehe sie noch heute vor mir, das Mädchen Larissa. Ihr Körper nicht ganz ausgewachsen, ein wenig zu dünn, zu schlaksig, und ihr fehlte noch das nötige Selbstvertrauen, um sich mit der Anmut einer jungen Frau zu bewegen. Ihr blondes Haar wippte auf und ab. Sie sprang beim Laufen. Und ich sehe ihre Ellenbogen, wie sich die Arme beugten und streckten während des Laufs.
Das Einzige, was unsere Eltern taten, war zu überlegen, ob sie uns verbieten sollten, diese Filme zu sehen. Es waren immer diese Filme, die unser Vater von einem Arbeitskollegen auslieh und selbst niemals schaute. Insgeheim hofften Larissa und ich, dass unsere Eltern lachend den Kopf schüttelten, wenn wir schließlich weg waren am Halloween-Abend. Vater würde unserer Mutter in der Küche auflauern und sie so erschrecken, wie meine Schwester und ich es untereinander taten. Ich habe nie erfahren, ob es so geschehen war, aber ich mag die Vorstellung.
Für Süßes oder Saures waren wir zu alt geworden und die Nachbarn in unserem Dorf hatten das Spiel nie ganz verstanden. Als Teenager waren Partys angesagt, auf denen wir
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