Die Fratze: Horror-Geschichte
greifen mussten. So wurden geschälte Pflaumen zu Augäpfeln, rohe Bratwürste in Ketchup zu Innereien und Plastik-Insekten zu einer beißenden Bedrohung. Die meiste Zeit spielte laute Musik und es gab jede Menge zu trinken. Wahrscheinlich waren Larissa und ich nicht die Einzigen, die den 31. Oktober mehr herbei sehnten als sonst einen Feiertag.
So gerne ich Madlen auch mochte, aber sie gehörte nicht zu uns, zu den Anhängern von Horrorfilmen, ihren Mythologien. Ich glaube, sie wollte nur ausreichend soziale Kontakte um sich wissen. Darum tat sie sich so schwer damit, als es vorbei war, als keiner mehr auf ihre Partys gehen wollte, nach dem, was 2001 geschehen ist.
Ich trug Michael Myers Halloween-Maske. Das Erste, was mir in den Sinn kam, war, mich zu fragen, wie er es all die Stunden, wahrscheinlich Tage oder Wochen darunter aushalten konnte. Ich schwitzte schon nach zehn Minuten und das Ding stank erbärmlich nach Plastik. Aber für den Effekt wollte ich sie die Nacht über tragen, nur hin und wieder anheben, um zu trinken oder eine zu rauchen. Ich wollte eine Rolle spielen. Nicht selten gelang es mir, die Leute um mich zu erschrecken, nur weil ich in ihrer Nähe stand und so tat, als würde ich sie beobachten. Mein Kostüm war ein Overall, den mein Vater mir stets lieh. Und ich hatte mir passend zum Fest ein eigenes Fleischermesser besorgt, das es mit der Länge aus dem Film sehr gut aufnehmen konnte.
In dem einen oder anderen Moment, wenn du es gar nicht erwartet hättest, dann wärst auch du erschrocken zurück gewichen. Du hättest deinem Gesprächspartner zugeflüstert: Wer ist denn dieser Psychopath? Der steht einfach nur da und bewegt sich kein Stück. Und dieses verfluchte Messer ist so lang wie sein Unterarm. Wenn du Glück gehabt hättest, wusste die Person, mit der du sprachst, dass ich es war, und sie hätte geantwortet: Das ist Jakob, Larissas Bruder. Das macht er immer so. Aber meistens wussten sie es nicht und es hieß nur: Keine Ahnung. Komm', lass uns verschwinden! Der Typ ist mir unheimlich.
So erwuchs ich oder besser mein Kostüm über die nächsten zwei Jahre zu einer eigenen Attraktion auf Madlens Partys. Neue Anwohner oder Freunde von Freunden, die nur zu Besuch waren, waren stets so zahlreich, dass der Gag nicht langweilig wurde. Während meine Schwester sich also jedes Jahr ein neues Kostüm einfallen ließ (Hexe, Mrs. Vorhees, Zombie, Vampirella), so blieb ich meiner Maske treu. Unsere morbide Faszination ging so weit, dass Larissa mich mit Michael ansprach, kaum hatte der Monat Oktober begonnen. Ich glaube, eines Tages wären wir aus diesem Quatsch heraus gewachsen – man ist irgendwann immer zu alt für irgendwas – aber dafür bekamen wir keine Chance.
Halloween 2001. Du liest diese Geschichte, um zu erfahren, was in jenem Jahr geschehen ist. Was interessieren dich meine Erinnerungen? Du willst doch immer gleich zur Sache kommen. Tut mir leid, wenn es nicht so war. Nein, eigentlich tut es mir nicht leid. Es ist meine Geschichte und du musst mit mir Schritt halten. Es ist schmerzhaft genug, daran zu denken, also kümmere ich mich nicht weiter um deine Forderungen.
Madlens Party. Mittlerweile war Scream längst für das Heimkino erschienen, das zunehmend von der DVD beherrscht wurde. Es war das erste Jahr, in dem sie ein Double Feature zeigen wollte. Schließlich sah man meine Maske auch in diesem Film, wenn auch nur kurz. Alles war wie immer, als wir in ihrem Haus eintrafen. Larissa ging diesmal als Mortisha Adams und kam mir in ihrem Kostüm fremd vor. Das gefiel mir, weil es das Besondere an diesem Abend unterstrich. Das Anders-Sein.
Wir waren die Ersten, wie immer eine Stunde zu früh. Ich nutzte dann stets die Gelegenheit, ohne Maske zu sein. Sobald es an der Tür klingelte, würde ich sie aufsetzen und einen weiteren Abend zwischen Euphorie und Hyperventilation verbringen. Madlen sah an diesem Abend umwerfend aus, eine nahezu perfekte Monroe-Kopie. Ich war versucht, die alte Geschichte zwischen uns aufzuwärmen, obwohl ich wusste, dass Larissas Freund Martin seine Schwester mitbringen würde. Vielleicht war ich an diesem Abend zu sehr abgelenkt gewesen, zu sehr in meinen widersprüchlichen Gefühlen und dem Verlangen nach Sex gefangen, als dass ich es früher hätte bemerken können. Etwas stimmte nicht, aber es war nur ein Grummeln im Bauch, das ich für Hunger hielt.
Gegen zehn Uhr am Abend war das Haus voll. Mit voll meine ich wirklich voll! Geister und Feen,
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