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Unser Kind soll etwas werden - Familie ist lebenswert

Titel: Unser Kind soll etwas werden - Familie ist lebenswert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela M.T. Reinders
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Vom Großziehen und Wachsenlassen
    â€žKinder soll man nicht erziehen, sondern einfach wachsen lassen“, fasste der amerikanische Kolumnist John Leo die reformpädagogischen Konzepte aus den 1960er- und 1970er-Jahren zusammen, die für Kinder eine Befreiung von den Eltern, eine echte Emanzipation forderten. Der Begründer der antiautoritären Erziehung und der Einrichtung „Summerhill“, Alexander Sutherland Neill, folgte dem Grundsatz, dass sich Lernprozesse ausschließlich vom Kind aus entwickeln sollten.
    Nicht zufällig fanden solche Konzepte besonders im Gefolge des Zweiten Weltkriegs Akzeptanz. Den auf unbedingten Gehorsam zielenden Drill des Nationalsozialismus und die autoritären Erziehungsstile der 1950er-Jahre wollte man nach Möglichkeit bereits im Kindesalter „ausmerzen“ und schlug teilweise ins andere Extrem um.
    Ob nun antiautoritär genannt oder als „laisser faire“ („gewähren lassen“) bezeichnet – die Erziehungs- und damit Bildungsstile, die davon ausgingen, dass Eltern sich weitgehend aus den Bildungsprozessen ihrer Kinder heraushalten und nur darauf warten sollten, dass der Wissensdrang sich schon spontan aus dem Kind heraus entwickelt, werden mittlerweile als „kulturfeindlich“ betrachtet. „Kinder täten sich im Leben schwer, wenn sie all unser kulturelles Wissen durch eigene Ungleichgewichtserfahrungen wiederentdecken müssten und es nicht von uns erben könnten“, sagt der Religionspsychologe Bernhard Grom. Eine Gesellschaft ist mit dafür verantwortlich, welche Bildungschancen sie Kindern eröffnet – oder vorenthält.
    Kinder entwickeln die Motivation zum Lernen und den Wissensdrang nicht von allein. „Das Kind kann sich die Welt nicht allein erschließen, es kann vor allem keine Entscheidungen über Dinge treffen, die es noch gar nicht kennt“, sagt der Arzt und Neurobiologe Joachim Bauer. Sie brauchen Stimulation, anregende Umgebung, auch Vorschläge, was sie erforschen, entdecken, lernen können. Wer sich der Bildung von Kindern annimmt, hat die Verantwortung, die Balance zu finden zwischen dem Engagement, das das Kind selbst beim Lernen aufbringt, und Anregungen von außen, die das Kind zu Lernprozessen anregen.
Sara und ihr Rucksack oder: Wie Kinder lernen können, eigene Erfahrungen zu machen
    Sara war ein Einzelkind, das nie ohne Rucksack irgendwohin gebracht wurde. Gebracht aber wurde sie immer – ob zur Schule oder zum Spielen um die Ecke. Als Grundschülerin ging sie keinen Weg allein. Der Rucksack musste immer in der Nähe sein, wenn Sara sich bei Kindergeburtstagen ihren Platz suchte – am liebsten bei Erwachsenen, z.B. den Eltern des Kindes, das sie eingeladen hatte.
    Der Rucksack enthielt eine Trinkflasche mit „Gänsewein“, wie sie sagte – also Leitungswasser, falls man das ihr anderswo einmal nicht gegönnt hätte. Vor allem aber enthielt er drei verschiedene Flaschen Hustensaft – Löser, Blocker, Krampfstiller –, über deren Namen und unterschiedliche Wirkungsweise Sara detailliert Auskunft geben konnte.
    Eines Tages starteten Saras Eltern eine Telefonaktion, in der sie der Reihe nach die Mitschülerinnen und Mitschüler instruieren wollten, dass sie Sara bitte nicht mehr weiterhin mobben sollen. Eine beherzte Mutter hatte den Mut, diese Telefonkette zu unterbrechen, indem sie aussprach, was die meisten empfanden:
Sara konnte nicht gut Beziehungen und Freundschaften pflegen. Sie passte in das Bild, das sich aus Beobachtungen von Lehrerinnen und Lehrern ergibt: Schulkinder werden in jüngerer Zeit zunehmend ichbezogener und auf Erwachsene fixiert. Gerade Sara als Einzelkind war davon betroffen: Soziales Verhalten bildet sich nur aus, wenn Kinder in vielfältigen Beziehungsformen zu gleichaltrigen und nicht nur älteren Bezugspersonen stehen.
Sara ging keinen Schritt allein. Zwar machte sie „Erfahrungen“ im wahrsten Sinne des Wortes, wenn sie gefahren wurde – aber, um im Bild zu bleiben, „begriff“ dabei nichts. Dass man auf der Straße vorsichtig sein muss, dass man bei einer wilden Schlittenfahrt mal auf dem Po landen kann, die Verantwortung für einen eigenen Weg: All das lernte Sara nicht.
Sara trank nichts anderes als das selbst mitgebrachte Leitungswasser. Zu schmecken, was anderen schmeckt, sich auf Neues einzulassen – dieses Erlebnis wurde ihr verwässert,

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