Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
Mädchen nackt herumstanden und sich mit der Sportlehrerin, Miss Brawn, unterhielten. Eva schämte sich für ihr Handtuch, das nicht groß genug war, um es sich um den Körper zu wickeln, und grau und muffig, weil sie ständig vergaß, es mit nach Hause zu nehmen.
In den Siebzigerjahren hatte Ruby am Frühstückstisch versucht, ihrer Tochter gute Manieren beizubringen. Dabei hatte Ruby ihr auch eingetrichtert, dass es, sollte eine Gesprächspause entstehen, Evas Pflicht war, diese zu füllen.
Mit zwölf war Eva ein ernsthaftes Mädchen, stets bemüht, das Richtige zu tun. Einmal, als sie vom Sportplatz über das weitläufige Schulgelände zurückging, hatte sie Miss Brawn eingeholt und wusste nicht recht, ob sie neben ihr herlaufen, hinter ihr hergehen oder sie überholen sollte. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf Miss Brawns Gesicht, das unfassbar traurig aussah.
Eva platzte heraus: »Was gibt es bei Ihnen am Sonntag zu essen?«
Miss Brawn wirkte verdutzt, sagte jedoch: »Ich dachte an eine Lammkeule.«
»Und machen Sie dazu Minzsoße?«, fragte Eva höflich.
»Ich mach sie nicht, ich kaufe sie!«, sagte Miss Brawn.
Es entstand eine lange Pause, die Eva mit: »Gibt es Bratkartoffeln oder Püree?«, füllte.
Miss Brawn seufzte und sagte: »Beides!« Dann fuhr sie fort: »Haben deine Eltern dir nicht beigebracht, dass es sich nicht gehört, so viele persönliche Fragen zu stellen?«
»Nein«, sagte Eva, »haben sie nicht.«
Miss Brawn blickte Eva ins Gesicht und sagte: »Du solltest nur sprechen, wenn du etwas zu sagen hast. Dämliche Fragen über meine Pläne fürs Sonntagsessen sind unangebracht.«
Eva dachte bei sich: »In Zukunft werde ich den Mund halten und mir meinen Teil denken.«
Und nach all den Jahren konnte die erwachsene Eva noch immer das frisch gemähte Gras riechen, das Sonnenlicht auf den alten roten Ziegeln des Schulgebäudes sehen und das dumpfe Gefühl der Demütigung von damals spüren, als sie vor Miss Brawn weglief, um sich irgendwo zu verstecken, bis ihre Wangen aufgehört hatten zu brennen.
Eva beendete ihre Übungen und legte sich auf die Bettdecke. Sie konnte nicht aufhören, an Essen zu denken. Ruby, die sie hauptsächlich fütterte, hatte eine sehr nachlässige Einstellung zur Zeit, und die Versorgung geriet ständig ins Stocken, weil Ruby immer vergesslicher wurde, und manchmal sogar Evas Namen vergaß.
Stanley öffnete der Schwester und dem Polizisten die Tür zu Evas Haus und sagte: »Wie geht es Ihnen?« Er schüttelte ihnen die Hand, führte sie in die Küche und sagte: »Ich möchte Sie um Ihren Rat bitten.«
Während er in der Küche umherlief, um Tee zu machen, sagte er: »Ich fürchte, Evas Zustand hat sich verschlechtert. Sie hat Peter, unseren gemeinsamen Fensterputzer, mit ihrem beachtlichen Charme dazu gebracht, ihr Zimmer zu verrammeln, bis auf einen Schlitz in der Tür, durch den wir von der anderen Seite hineinspähen und ihr, theoretisch, einen Teller reichen können.«
Kaum hatte Stanley das Wort »verrammeln« gesagt, sah Wachtmeister Hawk die Szene vor sich. Er würde die Informationen weitergeben, eine Spezialeinheit anfordern und zugegen sein, wenn Evas Tür mit einem Metallrammbock aufgebrochen wurde.
Schwester Spears sah sich schon vor Gericht die Vernachlässigung einer bettlägerigen Patientin rechtfertigen. Natürlich würde sie Überarbeitung geltend machen. Und das stimmte ja auch – die Anzahl an diabetischen Fußgeschwüren, Injektionen und Wundverbänden, die sie an einem Tag schaffen konnte, war begrenzt. Sie sagte: »Wenn ich zurück in der Praxis bin, werde ich ihre Ärzte informieren. Ich denke da an eine Therapie, eine Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung.«
Stanley log hastig: »Nein, sie ist nicht verrückt. Sie ist vollkommen bei Verstand. Heute Morgen habe ich noch mit ihr gesprochen und ihr ein gekochtes Ei mit Weißbrotstreifen gebracht. Sie schien sich sehr darüber zu freuen.«
Schwester Spears und Wachtmeister Hawk wechselten einen Blick, der besagte: »Wen kümmert’s, was ein Zivilist denkt? Wir Experten sind es, die hier die Entscheidungen treffen.«
Die drei ließen den Tee auf dem Tisch stehen und gingen zu Evas verrammeltem Zimmer hoch.
Stanley stellte sich vor die Tür und sagte: »Sie haben Besuch, Eva. Schwester Spears und Wachtmeister Hawk.«
Keine Antwort.
»Vielleicht schläft sie«, meinte er.
»Hören Sie«, verschaffte Schwester Spears sich Geltung, »meine Zeit ist kostbar.« Sie rief: »Mrs.
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