Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)
Erzählers genau berichten.
1. 1980 startete ich meine Reise, die bis heute andauert. Ich habe damals jeden Vortrag sorgfältig vorbereitet und tue es auch heute noch. Die gute Vorbereitung ist notwendig, um auch gegen Katastrophen oder unvorhergesehene Unannehmlichkeiten gewappnet zu sein. Ein Stau, ein aufgebrachter reaktionärer Araber, der nicht gekommen war, um zuzuhören, sondern um mit mir zu streiten, eine kurz zuvor zerbrochene Liebe, eine Verliebtheit, die einen zehn Minuten vor dem Auftritt überfällt. Für all das und noch vieles mehr musste ich vorbereitet sein, denn selbst das großartigste Publikum gewährt keinen »Blackout« von mehr als drei Minuten.
2. Ungeachtet der Zuneigung oder Ablehnung, die meine Entscheidung in der literarischen Welt hervorrufen sollte, war ich von Anfang an entschlossen, das mündliche Erzählen hochliterarisch zu halten, denn die Verführung ist groß, das Publikum plaudernd zu unterhalten, vielleicht sogar im arabischen Gewand und mit einer Wasserpfeife und Weihrauch kitschig ausgerüstet, was ja oft zur Tarnung der fehlenden literarischen Qualität dient. Und wenn all das nicht reicht, so helfe man sich mit einer Bauchtänzerin.
3. Die von mir geschriebenen Geschichten sind zwar sehr nahe an meinen mündlichen Stil angelegt, sie sind quasi ein Mischling der Ehe meiner orientalischen mündlichen und der okzidentalischen schriftlichen Erzählkunst. Aber diese Geschichten sind nur eine Variante aller Möglichkeiten, denn das mündliche Erzählen gestaltet sich im Augenblick seiner Geburt immer wieder als Unikat. Meine Bücher haben einen großen Auftrag: Sie sind zu meinenBotschaftern geworden in Regionen, die ich nie bereist habe und die ich auch nie bereisen würde. Sie sind heute in 25 Sprachen überall auf der Welt lesbar geworden.
4. Meine Hoffnung war groß, meine Ziele noch größer. Inspiriert durch Don Quijote, wollte ich quasi durch die Hintertür in meiner Heimat wieder Fuß fassen. Ich träumte von einem Erfolg, der es mir erlauben würde, meinen Landsleuten laut zuzurufen: »Wacht auf und schaut eure Wurzeln an. Glaubt an euch selbst und versucht, originell zu erzählen, ohne die anderen nachzuahmen!« Ich wusste, ein Scheitern würde das unmöglich machen. Erfolg allein erlaubt solche Frechheit zu Lebzeiten. Deshalb ist Erfolg nicht so schlecht wie sein Ruf. Niemals im Leben hätten sich die arabischen Medien für mich interessiert, wenn ich in Deutschland nicht großen Erfolg gehabt hätte, der seinerseits den Erfolg im englischen, italienischen und spanischen Sprachraum in die Wege leitete. Und seit die »Washington Post«, »El País« und »The Guardian« große Lobeshymnen auf mich sangen, kann ich mich vor Anfragen aus den arabischen Ländern kaum noch retten. Sogar mein Land will mich ehren. Das ist rührend, aber ich kann keine Ehrung eines arabischen Staates entgegennehmen, solange auch nur ein einziger Kollege seiner Meinungsäußerungen wegen im Gefängnis dieses Landes sitzt. Aber hätte mir vor zehn Jahren jemand gesagt, die »Süddeutsche Zeitung« würde meinen Roman über Damaskus, »Die dunkle Seite der Liebe«, in eine neue Reihe ihrer erfolgreichen Bibliothek über die Metropolen der Welt an zweiter Stelle nach New York und vor Peking, London, Mexiko und Paris aufnehmen, dann hätte ich für dieses Lob gedankt und empfohlen, bessere Witze zu erfinden. Heute ist es eine Tatsache, und ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie glücklich ich über diese Entscheidung gewesen bin, die zeitgleich mit der Ehrung der Brüder-Grimm-Professur kam.
5. Um Ihnen, durch den Türspalt, einen kleinen Einblick in meine Werkstatt zu ermöglichen, werde ich – heute zum ersten Mal – von den Vorbereitungen für eine Lesung berichten:
5.1. Ich gehe davon aus, dass mir bereits klar ist, was ich erzählen will, ob es eine kurze oder lange Geschichte wird, spielt inzwischen keine Rolle mehr. Anfängern empfehle ich immer, die Länge der Geschichte nur vorsichtig auszudehnen, damit das rettende Ufer in der Nähe bleibt. Aber man muss genau überprüfen, ob die Geschichte für eine bestimmte Gelegenheit passt oder nicht. Man kann nicht erotische Geschichten vor Nonnen vortragen oder brutale Geschichten vor Kindern. Manchmal werde ich dreimal innerhalb eines Jahres von einer großen Stadt eingeladen. Ich wiederhole mich nicht, sondern ich bereite drei verschiedene Texte vor.
5.2. Der Ablauf der Erzählung muss sorgfältig
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