Midnight Breed 05 - Gefaehrtin der Schatten-neu-ok-15.11.11
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Auf der
Bühne des höhlenartigen Jazzclubs unter den Straßen von Montreal sang eine
Sängerin mit purpurroten Lippen von der Grausamkeit der Liebe. Obwohl ihre
laszive Stimme recht angenehm und der Text von Blut, Schmerz und Lust tief
empfunden war, hörte Nikolai nicht zu. Er fragte sich, ob sie wusste - ob
überhaupt irgendjemand von den Dutzenden von Menschen, die sich in diesem
kleinen Club auf engstem Raum aneinanderdrängten, sich darüber im Klaren war,
dass sie ihre Atemluft mit Vampiren teilten.
Die beiden
jungen Frauen, die auf der Sitzbank in der dunklen Ecke pinkfarbene Martinis
kippten, hatten jedenfalls nicht die leiseste Ahnung.
Sie saßen
zwischen gleich vier Exemplaren dieser Gattung eingezwängt, eine Gruppe
aalglatter junger Männer in Lederklamotten, die versuchten, bei ihnen zu landen
- bislang ohne viel Erfolg -, und so taten, als hätten sie den jungen Frauen
nicht schon die ganze letzte Viertelstunde gierig auf die Halsschlagader
gestarrt. Obwohl sich die jungen Vampire offensichtlich schwer in Zeug legten,
um ihre potenziellen Blutwirtinnen aus dem Club zu locken, kamen sie damit
bisher nicht sonderlich weit.
Niko stieß
ein spöttisches Schnauben aus.
Amateure.
Er bezahlte
sein Bier, ließ es unberührt an der Bar stehen und schlenderte auf den Tisch in
der Ecke zu. Als er sich näherte, sah er, wie sich die beiden Frauen mit
wackeligen Beinen von der Sitzbank erhoben. Kichernd stolperten sie zusammen
auf die Toiletten zu und verschwanden in einem dämmerigen, überfüllten Gang,
der aus dem Gastraum hinausführte.
Nikolai ließ
sich lässig am Tisch nieder.
„‘n Abend,
die Damen.“
Die vier
Vampire starrten ihn schweigend an, sie erkannten ihn sofort als Angehörigen ihrer
Art. Niko hob eines der hohen, lippenstiftverschmierten Martinigläser an seine
Nase und schnupperte am Bodensatz des fruchtigen Getränks. Er zog eine Grimasse
und schob den Drink zur Seite.
„Menschen“,
knurrte er gedehnt. „Wie kriegen die bloß diese Scheiße runter?“
Ein
wachsames Schweigen senkte sich über den Tisch, als Nikolais Blick über die
vier Stammesvampire glitt, offensichtlich allesamt kultivierte junge
Zivilisten. Der größte der vier räusperte sich und sah Niko an. Ohne Zweifel
hatte sein Bauchgefühl ihm signalisiert, dass Niko nicht von hier war - und
dass er alles andere als zivilisiert war.
Der Jung
wollte sich cool geben und zeigte mit seinem Unterlippenbärtchen in Richtung
Toilette. „Wir haben sie zuerst gesehen“, murmelte er. „Die Frauen. Wir haben
sie zuerst gesehen.“ Wieder räusperte er sich, als wartete er darauf, dass
seine drei Kumpane ihm Rückendeckung gaben.
Keiner tat
es. „Wir waren zuerst da, Mann. Wenn die Mädels wieder an den Tisch
zurückkommen, gehen sie mit uns.“
Niko lachte
leise über den kläglichen Versuch des jungen Mannes, sein Revier abzustecken.
„Denkst du wirklich, ihr wärt mir gewachsen, wenn ich vorhätte, euch die Mädels
auszuspannen? Nur die Ruhe, daran habe ich keine Interesse. Ich bin auf
Informationen aus.“
Dieselbe
Tour hatte er in dieser Nacht schon zweimal durchgespielt, in anderen Clubs,
die dafür bekannt waren, dass sich dort Stammesvampire auf der Jagd nach Blut
trafen. Nikolai war auf der Suche nach jemandem, der ihm einen Tipp geben
konnte, wo sich ein Stammesältester, ein Vampir namens Sergej Jakut, aufhielt.
Es war nicht
einfach, jemanden zu finden, der nicht gefunden werden wollte, und besonders
jemanden, der so geheimnisvoll und unstet war wie Jakut. Er war hier in
Montreal, da war Nikolai sich sicher. Erst vor einigen Wochen war es ihm
endlich gelungen, den öffentlichkeitsscheuen Vampir ans Telefon zu kriegen, um
ihn über die Gefahr zu informieren, in der die mächtigsten, seltensten
Mitglieder des Stammes schwebten - die etwas zwanzig Stammesvampire der Ersten
Generation, die noch lebten.
Jemand
verübte gezielte Mordanschläge auf Gen Eins-Vampire. In den letzten Monaten
waren schon einige von ihnen ermordet worden, und Niko und seine Waffenbrüder
in Boston - ein kleiner Kader bestens ausgebildeter, tödlicher Krieger, der als
der Orden bekannt war - hatten es sich zu ihrer wichtigsten Aufgabe gemacht,
die ungreifbaren Mörder der Gen Eins aufzuspüren und auszuschalten. Darum hatte
der Orden beschlossen, alle verbliebenen Gen Eins zu kontaktieren und zur
Zusammenarbeit anzuwerben.
Sergej Jakut
war alles andere als begeistert gewesen. Er fürchtete niemanden und hatte seine
eigenen
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