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Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Titel: Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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der Zunge, wenig Geld in der Tasche, gar keine Lobby und Feinde so weit das Auge reicht. Ein arabischer Diktaturgegner ist im deutschen Exil auf vielfache Weise isoliert. Aber das ist nicht schlimm, es ist vielmehr Anlass, noch besser zu schreiben und zu erzählen, weil man in der Isolation niemandem etwas schuldet. Man nimmt keine Rücksichten, atmet frei und erkundet seinen Weg, Schritt für Schritt, tastet sich vorsichtig wie ein Barfüßiger über den Boden in einer dunklen Nacht.
    Ich gab meine lukrative Stelle bei einem großen Pharmakonzern auf, denn ich wusste die Größe meiner erzählerischen Aufgabe nüchtern und richtig einzuschätzen und begriff, dass sie nicht nebenbei bewältigt werden konnte. Ein Damaszener Sprichwort sagt: Man kann nicht zwei Wassermelonen in einer Hand tragen .
    Ich nahm jede Lesung an. Bis zu 180 Lesungen im Jahr, manchmal mit nicht mehr als fünf Personen. Natürlich war das bitter, an einem eiskalten Tag mit einem rostigen VW Käfer von Heidelberg nach Hannover, Hamburg, Berlin oder München zu fahren und vor fünf Leuten aufzutreten.
    Manchmal gaben die Buchhändler mir im voraus Bescheid, sehr lieb und fürsorglich, weil sie Angst hatten, dass ich sonst beim Auftritt böse überrascht würde.
    Eines Abends war ich wirklich verzweifelt. Ein Buchhändler hatte mir kurz nach meiner Ankunft am Telefon gesagt, dass außer ihm und seiner Frau nur drei Zuhörerinnen Interesse gezeigt hätten. Ich saß in einem scheußlichen Hotelzimmer auf der Bettkante, schaute meinen kleinen Koffer an und war den Tränen nahe.
    Da schmolz plötzlich die Tür in sich zusammen, als wäre sie ein Stück Butter unter der Sonne, es wurde sehr heiß und hell, so dass ich geblendet war. Und dann traten sie ins Zimmer, Sancho und Don Quijote. Hungrig, wie er war, begann der Esel die Plastikblumen zu kauen, Rocinante ließ sich müde neben dem Bett nieder.
    »Noch ist die Rückkehr möglich«, sagte Sancho, »dein Chef in der großen Pharma-Firma lässt dich grüßen. Er freut sich, wenn du nach diesem Ausflug nach Utopia zurückkehrst.«
    »Pillendreher, Jahrmarktheiler, Alchemist«, knurrte Don Quijote, »was können die wenigen tapferen Zuhörer dafür, dass so viele Bequeme an einem eisigen Tag lieber zu Hause bleiben«, sagte er zu mir und versetzte Sancho, der ihm Grimassen schnitt, einen Tritt, »und denen, die gekommen sind, schuldest du etwas. Du musst ihnen ihre verlorene Zeit mit Geschichten zurückschenken, die Kälte ihrer Glieder mit der Wärme deines Herzens belohnen. Dann werden sie deine Botschafter, und beim nächsten Auftritt werden doppelt so viele auf dich warten. Das garantiere ich dir! Auf geht es«, rief er und schwang sich auf Rocinante, der sich unwillig aufrichtete. Bald kehrte Ruhe ein, und ich freute mich, dass diese Augenkrebs erregenden Plastikblumen zerfetzt im Papierkorb lagen. Esel haben eben Geschmack.
    Ich ging hinaus und erzählte so gut ich konnte, und die Zuhörerinnen und Zuhörer wurden – genau wie Don Quijote prophezeit hatte – zu meinen Botschaftern, und beim nächsten Besuch waren es zwanzig, beim dritten achtzig und seit Jahrzehnten sind die Veranstaltungen ausverkauft.
    Aber bis heute kann ich, können wir – Buchhändler, Journalisten, Kulturbeauftragte, Professoren und Liebhaber der Literatur und der mündlichen Erzählkunst – keinen Begriff finden, der präzise definiert, was ich mache. Also, wie heißt dieses Ereignis: Lesung ist es nicht und Erzählung bedeutet auf Deutsch etwas ganz anderes. Erzählzeit nannte ich es. Ohrfilm, poetischer Spaziergang und andere Unbeholfenheiten mussten auch schon herhalten. Manchmal habe ich verzweifelt gerufen: »Ein Himmelreich für ein passendes Wort!« Dreißig Jahre unterwegs und keine Lösung in Sicht. Damit haben Sie es auf der Hand, wie weit das Schriftliche das Mündliche verdrängt hat oder wie schwer es im Zeitalter der Schrift ist, Begriffe für das Mündliche zu finden.
    Damals schrieb mir Ibn Aristo mahnende Worte.
    IBN ARISTO MAHNT
    … ich weiß, ich weiß. Ich schrieb dir: »Die Erfahrung, die du in der arabischen oder aramäischen Sprache gemacht hast, ist nur bedingt brauchbar in einer indogermanischen Sprache, in einer christlich geprägten Kultur und mit einem Publikum, das kaum Erfahrung mit mündlicher Kultur, mit Zuhören hat.«
    Du hast recht, wie so oft, aber lass mich bitte weitererzählen …
    Da ich ein Tagebuch meiner Reisen führe, kann ich heute über die Erfahrung eines mündlichen

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