Die Frau in Schwarz
und mit kastanienbraunen Wimpern und Brauen, der Haarfarbe ihrer Mutter, ehe die grauen Fäden immer mehr zunahmen.
Isobel war erst vierundzwanzig, doch bereits Mutter von drei kleinen Söhnen und entschlossen, noch mehr zu gebären. Sie hatte die gemessene Art einer Matrone und neigte dazu, nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihren Mann und ihre Brüder zu bemuttern und ein wachsames Auge auf sie zu haben. Sie war die vernünftigste, verantwortungsbewussteste Tochter, die man sich nur vorstellen kann, liebevoll und liebenswert. In dem ruhigen und besonnenen Aubrey Pearce schien sie den idealen Partner gefunden zu haben. Doch manchmal ertappte ich Esmé dabei, wie sie ihre Tochter versonnen anblickte, und einmal hatte sie mir, aber nur mir, gestanden, dass sie sich wünschte, Isobel wäre ein bisschen weniger gesetzt, etwas lebhafter, gar leichtsinnig.
Um ehrlich zu sein, ich würde es mir nicht wünschen. Ich würde mir gar nichts wünschen, was die Oberfläche dieser ruhigen, friedlichen See auch nur im Geringsten aufwühlte.
Oliver Ainley, jetzt neunzehn, und sein Bruder Will, nur vierzehn Monate jünger, waren vom Wesen her ähnlich ernsthaft. An diesem Abend aber wirkten sie übermütig wie Welpen, und tatsächlich ließ Oliver Anzeichen von Reife vermissen, wie man sie bei einem Studenten im ersten Jahr in Cambridge erwarten durfte, der einmal, wenn er meinem Rat folgte, Anwalt werden würde. Will lag auf dem Bauch vor dem Kamin, sein glühendes Gesicht in die Hände gestützt. Oliver saß in der Nähe, und hin und wieder stießen sie sich wie aus heiterem Himmel mit den langen Beinen an und benahmen sich, als wären sie wieder zehn.
Der jüngste Ainley, Edmund, saß etwas abseits von allen anderen. Das tat er fast immer, was nichts mit Unfreundlichkeit oder Verdrießlichkeit zu tun hatte, sondern an seiner anspruchsvollen Natur und seiner Zurückhaltung lag, einem inneren Verlangen, mit sich allein zu sein. Das hatte ihn schon immer von Esmés Familie abgehoben, genau wie sein Aussehen, denn im Gegensatz zu den anderen war er sehr hellhäutig, hatte eine lange Nase, tiefschwarzes Haar und blaue Augen. Er war jetzt fünfzehn. Ihn kannte ich am wenigsten, verstand ihn so gut wie gar nicht und fühlte mich in seiner Gegenwart fast unbehaglich. Und trotzdem liebte ich ihn seltsamerweise mehr als die anderen.
Das Wohnzimmer in Monk’s Piece ist lang und niedrig, hat an beiden Enden allerdings hohe Fenster, durch die am Tag sowohl von Norden wie von Süden viel Licht fällt. Heute Abend waren die Vorhänge zugezogen und das Zimmer mit frischen Tannenzweigen geschmückt, die Esmé und Isobel am Nachmittag zugeschnitten hatten. Beeren und sowohl rote als auch goldene Bänder zierten sie. Am Ende des Zimmers stand der geschmückte Weihnachtsbaum mit brennenden Kerzen, darunter waren die Geschenke ausgebreitet. Esmé hatte weiße Chrysanthemen auf mehrere Vasen verteilt, und auf einem runden Tisch in der Mitte des Zimmers war eine Pyramide aus vergoldeten Früchten errichtet. In einer Schale daneben lagen Orangen, die rundum mit Nelken gespickt waren und deren würziger Geruch sich mit dem der Tannenzweige und dem des Feuers zu einem richtigen Weihnachtsduft vermischte. Ich ließ mich in meinem Armsessel nieder, schob ihn ein wenig von der Feuerglut weg und widmete mich dem Stopfen meiner Pfeife, einer Beschäftigung, die mich stets beruhigte. Während ich das tat, wurde mir bewusst, dass ich die anderen mitten in einer lebhaften Unterhaltung unterbrochen hatte und dass zumindest Oliver und Will ungeduldig waren, fortzufahren.
»Nun«, sagte ich während ich zunächst vorsichtig an meiner Pfeife sog. »Lasst euch durch mich nicht stören.«
Eine weitere Pause setzte ein. Esmé schüttelte den Kopf und beugte sich lächelnd über ihre Stickerei.
Schließlich stand Oliver auf und schaltete rasch alle Lampen im Zimmer aus, nur die Kerzen am Christbaum ließ er brennen, so dass wir uns, als er zurückkehrte, lediglich in unmittelbarem Feuerschein sehen konnten. Esmé blieb nichts anderes übrig, als ihre Stickerei zur Seite zu legen – was sie allerdings nicht ganz ohne Protest tat.
»Wenn schon, dann sollten wir es auch richtig machen«, sagte Oliver zufrieden.
»Oh, ihr Jungs …«
»Komm schon, Will, du bist dran, oder?«
»Nein, Edmund ist dran.«
»Dann lasst uns beginnen«, sagte der jüngste der Ainley-Brüder mit merkwürdig tiefer Stimme.
»Ist es denn unbedingt nötig, dass das Licht aus ist?«,
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