Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
werdenden Zeitläufte, freiwillig unter die Herrschaft der Fürsten. Schließlich suchte das durch den ökonomischen Rückgang in seinem Erwerb bedrohte Bürgertum immer höhere Schranken zu errichten, um sich vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen, und die Fürsten kamen diesem Verlangen gerne nach. Die Verknöcherung der Zustände nahm zu, aber damit auch die Verarmung.
Die weiteren Folgen der Reformation waren die religiösen Kämpfe und Verfolgungen – die von den Fürsten als Deckmantel für ihre politischen und ökonomischen Zwecke benutzt wurden –, die Deutschland mit Unterbrechungen länger als ein Jahrhundert durchtobten und mit seiner vollständigen Erschöpfung am Ende des Dreißigjährigen Krieges endeten. Deutschland war ein ungeheures Leichen- und Trümmerfeld geworden. Ganze Länder und Provinzen waren verwüstet, Hunderte von Städten, Tausende von Dörfern waren teilweise oder gänzlich niedergebrannt, viele unter ihnen sind seitdem für immer vom Erdboden verschwunden. In vielen Orten war die Bevölkerung auf den dritten, vierten, fünften, selbst auf den achten und zehnten Teil gesunken. Das galt zum Beispiel von Städten wie Nürnberg und von ganz Franken. In dieser äußersten Not kam man hier und da, um die entvölkerten Städte und Dörfer möglichst rasch wieder mit mehr Menschen zu versehen, zu dem drastischen Mittel, einem Manne ausnahmsweise zwei Frauen zu erlauben . Die Männer hatten die Kriege vernichtet, aber Frauen gab es in Überzahl. So faßte am 14. Februar 1650 der Fränkische Kreistag zu Nürnberg den Beschluß, "daß Männer unter 60 Jahren nicht in Klöster aufgenommen werden durften"; des weiteren befahl er "denen Jenigen Priestem, Pfarrherrn, so nicht ordensleuth, oder auff den Stifftern Canonikaten, sich Ehelich zu verheyrathen". "Darzu sollte jeder Mannßperson zwei Weyber zu heyrathen erlaubt sein: dabey doch alle und jede Mannßperson erinnert, auch auff den Kanzeln öffters ermanth werden sollen, Sich dergestalten hierinnen zu verhalten und vorzusehen, daß er sich völlig und gebürender Discretion und vorsorg befleißige, damit Er als Ehelicher Mann, der ihm zwei Weiber zu nemmen getraut, beide Ehefrauen nicht allein nothwendig versorge, sondern auch under Ihnen allen Unwillen verhuette."
Es wurde also sogar die Kanzel benutzt, um die Doppelehe zu propagieren und den Ehemännern Verhaltungsmaßregeln zu geben. Auch stockte der Handel und Wandel und Gewerbe in dieser langen Zeit, ja vielfach waren sie gänzlich zugrunde gerichtet und konnten erst nach und nach sich erholen. Ein großer Teil der Bevölkerung war verroht und demoralisiert und aller geordneten Tätigkeit entwöhnt. Waren es während der Kriege die raubenden, plündernden, schändenden und mordenden Söldnerheere, die Deutschland von einem Ende zum anderen durchzogen und gleichzeitig Freund und Feind brandschatzten und niederwarfen, so waren es nach den Kriegen ungezählte Räuber-, Bettler- und Vagabundenscharen, welche die Bevölkerung in Angst und Schrecken setzten und Handel und Verkehr hinderten oder vernichteten. Namentlich war für das weibliche Geschlecht eine große Leidenszeit angebrochen. In dieser Zeit der Zügellosigkeit hatte die Verachtung der Frau die größten Fortschritte gemacht, auf ihren Schultern lastete die allgemeine Erwerbslosigkeit am stärksten. Zu Tausenden bevölkerten Frauen, gleich den vagabundierenden Männern, die Landstraßen und Wälder und füllten Armenhäuser und Gefängnisse. Zu all diesen Leiden kam die gewaltsame Vertreibung zahlreicher Bauernfamilien durch einen landhungrigen Adel. Hatte sich der letztere seit der Reformation immer mehr unter die Fürstenmacht ducken müssen, und war er durch Hofämter und militärische Stellen in immer größere Abhängigkeit von diesen geraten, so suchte er jetzt den Schaden, den ihm die Fürsten zugefügt, doppelt und dreifach hereinzubringen durch den Raub am Bauerngut. Dagegen bot die Reformation den Fürsten den erwünschten Vorwand, sich des reichen Kirchenguts zu bemächtigen, das sie in ungezählten Morgen Landes schluckten. Der Kurfürst August von Sachsen zum Beispiel hatte bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts nicht weniger als dreihundert geistliche Güter ihrem ursprünglichen Zwecke entfremdet . Und wie er, hatten es seine Brüder und Vettern, die übrigen protestantischen Fürsten, allen voran die Hohenzollern, gemacht. Der Adel ahmte das Beispiel nach, indem er das noch vorhandene Gemeindeland
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