Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
einstigen frischen Glanz wieder erhalten. Die Ehe ist also der wahre Jugendbrunnen für das weibliche Geschlecht . So hat die Natur ihre feststehenden Gesetze, welche mit unerbittlicher Strenge ihr Recht fordern, und jede vita praeter naturam , jedes unnatürliche Leben, jeder Versuch der Anpassung an Lebensverhältnisse, welche der Art nicht entsprechen, kann nicht ohne bemerkenswerte Spuren der Degeneration an dem Organismus, dem tierischen sowohl als auch dem menschlichen, vorübergehen."
Es entsteht nun die Frage: Erfüllt die Gesellschaft die Anforderungen an eine vernünftige Lebensweise insbesondere des weiblichen Geschlechts? Und falls sie verneint wird, entsteht die Frage: Kann sie dieselben erfüllen? Müssen aber beide Fragen verneint werden, so entsteht die dritte: Wie können dieselben erfüllt werden?
Achtes Kapitel - Die moderne Ehe
1. Die Ehe als Beruf
"Ehe und Familie sind die Grundlagen des Staates, wer daher Ehe und Familie angreift, greift die Gesellschaft und den Staat an und untergräbt beide", rufen die Verteidiger der heutigen Ordnung. Die monogamische Ehe ist, wie zur Genüge bewiesen wurde, Ausfluß der bürgerlichen Erwerbs- und Eigentumsordnung, sie bildet also unbestreitbar eine der wichtigsten Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft, ob sie aber den natürlichen Bedürfnissen und einer gesunden Entwicklung der menschlichen Gesellschaft entspricht, ist eine andere Frage. Wir werden zeigen, daß diese auf den bürgerlichen Eigentumsverhältnissen beruhende Ehe mehr oder weniger Zwangsehe ist, die viele Übelstände aufweist und vielfach ihren Zweck nur unvollkommen oder gar nicht erreicht. Wir werden ferner zeigen, daß sie eine soziale Einrichtung ist, die für Millionen unerreichbar bleibt und keineswegs jene auf freier Liebeswahl beruhende Ehe ist, die, wie ihre Lobredner behaupten, allein dem Naturzweck entspricht.
Mit Bezug auf die heutige Ehe ruft John Stuart Mill: " Die Ehe ist die einzige wirkliche Leibeigenschaft, welche das Gesetz kennt. " Nach der Auffassung Kants bilden Mann und Frau erst den ganzen Menschen. Auf der normalen Verbindung der Geschlechter beruht die gesunde Entwicklung des Menschengeschlechtes. Die Befriedigung des Geschlechtstriebs ist eine Notwendigkeit für die gesunde physische und geistige Entwicklung des Mannes wie der Frau. Aber der Mensch ist kein Tier, und so genügt ihm für die höhere Befriedigung seines ungestümsten Triebes bloß physische Stillung nicht, er verlangt auch geistige Anziehungskraft und Übereinstimmung mit dem Wesen, mit dem er eine Verbindung eingeht. Ist diese nicht vorhanden, so vollzieht sich die geschlechtliche Vermischung rein mechanisch, und sie ist alsdann eine unsittliche. Der höherstehende Mensch verlangt, daß die beiderseitige Anziehungskraft auch über die Vollziehung des Geschlechtsaktes hinaus dauere und seine veredelnde Wirkung auf das aus der beiderseitigen Verbindung entsprießende Lebewesen ausdehne . Die Tatsache, daß solche Ansprüche in der heutigen Gesellschaft an unzählige Ehen nicht gestellt werden können, veranlaßt auch Varnhagen v. Ense , zu schreiben: "Was wir in dieser Art vor Augen hatten, sowohl von geschlossenen als von noch zu schließenden Ehen war nicht gemacht, uns von solcher Verbindung einen guten Begriff zu geben; im Gegenteil, die ganze Einrichtung, der nur Liebe und Achtung zugrunde liegen sollte, und die wir in allen diesen Beispielen eher auf alles andere gegründet sahen, wurde uns gemein und verächtlich, und wir stimmten schreiend in den Spruch von Friedrich Schlegel ein, den wir in den Fragmenten des ›Athenäums‹ lasen: Fast alle Ehen sind Konkubinate, Ehen an der linken Hand oder vielmehr provisorische Versuche und entfernte Annäherungen zu einer wirklichen Ehe, deren eigentliches Wesen nach allen geistigen und weltlichen Rechten darin besteht, daß mehrere Personen nur eine werden sollen" . Das ist ganz im Sinne Kants gedacht.
Die Freude an der Nachkommenschaft und die Verpflichtung gegen diese machen das Liebesverhältnis zweier Menschen zu einem länger dauernden. Ein Paar, das in ein Eheverhältnis treten will, soll sich also darüber klar sein, ob sich die beiderseitigen Eigenschaften zu einer solchen Verbindung eignen. Die Antwort müßte aber auch unbeeinflußt erfolgen können. Das kann aber nur geschehen durch die Fernhaltung jedes anderen Interesses , das mit dem eigentlichen Zwecke der Verbindung, Befriedigung des Naturtriebs und
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