Die Frauen der Calhouns 03 - Lilah
ist?«
»Nichts Besonderes …« Achselzuckend kümmerte sie sich wieder um das Teewasser. Im Moment wollte sie ihm nicht verraten, dass sie das Gefühl hatte, zum Strand geschickt worden zu sein.
»Hast du herausgefunden, wer er ist?«
»Nein, noch nicht. Er hatte keine Brieftasche bei sich, und weil er gestern Abend in ziemlich schlechter Verfassung war, wollte ich ihn auch nicht bedrängen.« Sie warf einen Blick auf Sloans Miene und schüttelte leicht den Kopf. »Komm schon, Großer, er ist wohl kaum gefährlich. Hätte er sich in das Haus einschleichen wollen, um die Halskette zu suchen, hätte er sich bestimmt einen einfacheren Weg ausgesucht, als zu ertrinken.«
Er musste ihr zustimmen, aber nachdem auf Amanda geschossen worden war, wollte er keine unnötigen Risiken eingehen. »Wer immer er auch ist, ich finde, ihr solltet ihn jetzt ins Krankenhaus bringen.«
»Überlass mir die Sorge um ihn.« Sie stellte Teller und Tassen auf ein Tablett. »Er ist in Ordnung, Sloan. Vertraust du mir?«
Stirnrunzelnd legte er seine Hand auf die ihre, bevor sie das Tablett nehmen konnte. »Spürst du Schwingungen?«
»Absolut.« Lachend warf sie ihre Haare zurück. »Also, ich bringe Mr X jetzt Frühstück. Warum verziehst du dich nicht wieder in den Westflügel und reißt ein paar Mauern ein?«
»Wir ziehen heute ein paar hoch.« Und weil er ihr vertraute, entspannte er sich ein wenig. »Kommst du nicht zu spät zur Arbeit?«
»Ich habe mir den Tag freigenommen, um Florence Nightingale zu spielen.« Sie schlug seine Hand von dem Körbchen mit Toast weg. »Zieh los und betätige dich als Architekt.«
Das schwere Tablett balancierend, ließ sie Sloan stehen und trat in die Halle hinaus. Das Erdgeschoss von The Towers war ein Labyrinth von Räumen mit hohen Decken und abbröckelndem Verputz. In seiner Blütezeit war das Haus ein Schmuckkästchen gewesen, ein imposanter Sommersitz, den Fergus Calhoun 1904 erbaut hatte. Es war sein Statussymbol gewesen mit schimmernden Wandtäfelungen, kristallenen Türgriffen und kunstvollen Wandgemälden.
Jetzt hatte das Dach mehr undichte Stellen, als man zählen konnte, die Wasserleitungen klopften, und der Stuck blätterte ab. Genau wie ihre Schwestern hing Lilah an jedem Stein. Dies war ihr Heim gewesen, ihr einziges Heim, und es enthielt Erinnerungen an die Eltern, die sie vor fünfzehn Jahren verloren hatten.
Am oberen Ende der geschwungenen Treppe angelangt, blieb sie stehen. Durch die Entfernung gedämpft, hörte sie das Geräusch von Hämmern. Der Westflügel erhielt die dringend nötige Renovierung. Durch Sloan und Trent sollte The Towers wenigstens einen Teil seines früheren Glanzes zurückerhalten. Lilah gefiel diese Vorstellung, und als Frau, die ein Nickerchen als ihren bevorzugten Zeitvertreib ansah, genoss sie das Geräusch geschäftiger Hände.
Er schlief noch, als sie den Raum betrat. Sie wusste, dass er sich während der Nacht kaum bewegt hatte. Da sie ihn nicht hatte allein lassen wollen, war sie am Fußende sitzend bis zum Morgen geblieben und war immer nur kurz eingedöst.
Leise stellte Lilah das Tablett auf die Kommode und ging zur offenen Terrassentür hinüber. Warme, würzige Luft strich herein. Sie konnte nicht widerstehen und trat ins Freie, um sich davon beleben zu lassen. Der Sonnenschein funkelte auf dem nassen Gras und glitzerte auf den Blütenblättern von zartrosa Begonien, die, schwer noch vom Regen, die Köpfe hängen ließen. Klematis mit handtellergroßen, königsblauen Blüten rankten sich zwischen Kletterrosen über eines der weißen Spaliere.
Von dem hüfthohen Terrassenmäuerchen aus konnte sie das Glitzern des tiefblauen Wassers der Bay sehen und die grünliche, weniger heitere Oberfläche des Atlantik. Es erschien geradezu unmöglich, dass sie erst letzte Nacht in diesen Untiefen einen Fremden gepackt und ums Überleben gekämpft hatte. Doch der Schmerz in den an die Anstrengung nicht gewöhnten Muskeln genügte, um das Entsetzen dieser Momente zurückzubringen.
Schaudernd konzentrierte Lilah sich lieber auf den Morgen mit seiner wundervollen Trägheit. Durch die Entfernung auf Spielzeuggröße geschrumpft, dampfte eines der Ausflugsboote vorbei, voll beladen mit Touristen mit Kameras und Kindern, die alle hofften, einen Wal zu sehen.
Es war Juni, und die Urlauber strömten nach Bar Harbor, um zu segeln, einzukaufen und sich zu sonnen. Die Leute schlangen Hummerbrötchen in sich hinein, machten die Eissalons und Läden mit T-Shirts
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