Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
A ls das Taxi am Abend um kurz vor halb acht in den Tollens Väg abbog, hätte Richard Granlund nicht geglaubt, dass dieser Tag noch schlimmer werden könnte. Vier Tage in München und Umgebung. Auf Vertreterreise. Die Deutschen arbeiteten auch im Juli weitgehend Vollzeit. Kundengespräche von morgens bis abends. Fabriken, Konferenzräume und unzählige Tassen Kaffee. Er war müde, aber zufrieden. Das Fachgebiet Transport- und Prozessbänder war vielleicht nicht unbedingt sexy, und sein Job weckte nur selten Neugier und wurde bei Abendessen oder anderen Zusammenkünften nie selbstverständlich thematisiert. Aber sie verkauften sich gut, die Bänder. Richtig gut.
Das Flugzeug hätte in München um 9.05 Uhr starten und er um 11.20 Uhr in Stockholm sein sollen. Dann hätte er kurz im Büro vorbeigeschaut und gegen eins zu Hause sein können. Ein spätes Mittagessen mit Katharina und den Rest des Nachmittags mit ihr zusammen im Garten. Das war sein Plan gewesen.
Bis er erfahren hatte, dass sein Flug nach Arlanda gestrichen worden war. Er stellte sich am Lufthansa-Schalter in der Schlange an und wurde auf den Flug um 13.05 Uhr umgebucht. Noch vier weitere Stunden am Franz-Josef-Strauß-Flughafen. Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Mit einem resignierten Seufzer zog er sein Handy aus der Tasche und schrieb Katharina eine SMS: Sie musste ohne ihn essen. Aber die Hoffnung auf ein paar Stunden im Garten war noch nicht gestorben. Wie war das Wetter? Vielleicht konnten sie ja später noch einen Drink auf der Terrasse nehmen? Jetzt, da er Zeit hatte, konnte er auch noch eine Flasche besorgen.
Katharina antwortete sofort. Dumm mit der Verspätung. Sie vermisste ihn. Das Wetter in Stockholm war phantastisch, ein Drink wäre super. Er sollte sie überraschen. Kuss.
Richard ging in einen der Läden, die noch immer mit dem Schild «Tax free» warben, obwohl das sicher für den Großteil der Reisenden keine Bedeutung mehr hatte. Er fand das Regal mit den fertiggemixten Getränken und wählte eine Flasche, die er aus der Fernsehwerbung kannte. Mojito Classic.
Auf dem Weg zum Zeitschriftenladen kontrollierte er seine Flugdaten auf der Anschlagtafel. Gate 26. Er schätzte, dass er bis dorthin ungefähr zehn Minuten brauchte.
Nach dem Einkauf setzte sich Richard mit einem Kaffee und einem Sandwich in ein Café und blätterte in seiner gerade erstandenen Nummer des Garden Illustrated . Die Zeit kroch nur langsam vorwärts. Eine Weile verbrachte er mit einem Schaufensterbummel entlang der vielen Flughafenboutiquen, kaufte noch eine Zeitschrift, diesmal ein Lifestyle-Magazin, zog dann in ein anderes Café um und trank eine Flasche Mineralwasser. Nach einem Gang zur Toilette war es dann endlich Zeit, zum Gate aufzubrechen. Dort erlebte er eine böse Überraschung: Der Flug um 13.05 Uhr war verspätet, neue Boardingzeit war 13.40 Uhr. Voraussichtliche Abflugzeit 14.00 Uhr. Richard griff erneut zu seinem Handy, informierte Katharina über die neuerliche Verspätung und empörte sich über das Fliegen im Allgemeinen und die Lufthansa im Besonderen. Dann suchte er sich einen freien Platz und setzte sich. Es kam keine SMS zurück.
Er rief sie an, aber sie hob nicht ab.
Vielleicht hatte sie jemanden gefunden, der mit ihr in der Stadt zum Essen ging. Er steckte das Handy ein und schloss die Augen. Es bestand kein Anlass, sich über die Verspätung aufzuregen, denn er konnte ohnehin nichts daran ändern.
Um kurz vor zwei öffnete eine junge Frau den Schalter und bat die Fluggäste um Entschuldigung für die Verspätung. Als alle im Flugzeug Platz genommen hatten und das Personal gerade routiniert die Sicherheitshinweise erklärte, denen sowieso niemand lauschte, meldete sich der Flugkapitän zu Wort. Eine Kontrolllampe des Flugzeugs blinke. Vermutlich handele es sich nur um einen Defekt der Lampe, aber man wolle kein Risiko eingehen, weshalb ein Techniker unterwegs sei, um die Sache zu untersuchen. Der Pilot entschuldigte sich für die Verspätung und erklärte, er hoffe auf das Verständnis der Passagiere. Im Flugzeug wurde es bald stickig. Richard spürte, wie seine Verständnisbereitschaft und seine trotz allem relativ gute Laune im gleichen Takt verflogen, wie sein Hemd am Rücken und unter den Armen feuchter wurde. Dann meldete sich der Pilot erneut mit zwei Nachrichten. Die gute: Der Fehler sei behoben. Die etwas schlechtere: Inzwischen hätten sie ihre Startposition verloren, weshalb nun noch etwa neun Flugzeuge vor ihnen
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