Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
sie zu sich zu holen. Da würde er sie doch wohl kaum betrügen, sobald sie eingezogen war, sobald er bekommen hatte, was er wollte. Bisher war er immer nur liebevoll zu ihr gewesen.
Der perfekte Mann.
Sie hatte ihn zu schnell verurteilt und schämte sich ein wenig. Also beschloss sie, das wieder gutzumachen, wenn er zurückkam. Sein schnelles Verschwinden und sein nächtliches Fortbleiben konnten andere Gründe haben. Musste andere Gründe haben. Sie ging in Gedanken den gestrigen Tag durch, während der Tee in ihrer Tasse kalt wurde. Er hatte gestresst gewirkt, als er gegangen war. Irgendwelche Probleme vielleicht. Beruflicher oder privater Natur. Natürlich hätte sie sich gewünscht, dass er mit ihr redete, wenn ihn etwas bedrückte, aber manche Männer mussten eben stur sein und alles mit sich selbst ausmachen. Es fiel ihnen wahnsinnig schwer, andere um Hilfe zu bitten. Doch Ellinor musste er nicht bitten. Sie würde ihm auch so helfen. Sie musste nur wissen wie.
Systematisch überlegte sie, was sie gestern zusammen getan hatten. Ob es irgendwann einen Moment gegeben hatte, in dem er anders reagiert hatte. Etwas zu verbergen versucht hatte.
Bei der Erinnerung an diese Ica-Tüte hielt sie inne. Anscheinend waren wichtige Papiere darin, und als sie ihn danach gefragt hatte, war er verstummt. Und hatte eine Weile geschwiegen, wie ihr jetzt wieder einfiel. Er hatte grüblerisch dreingeschaut und fast ein wenig traurig ausgesehen. Als bedeutete der Inhalt der Tüte eine Last für ihn, und er dachte darüber nach, ob er sie mit ihr teilen sollte. Als hätte er überlegt, ob es ihm zustand, sie in seine Probleme mit hineinzuziehen, dann aber beschlossen, sie nicht damit zu belasten. Er hatte sie gebeten, den Inhalt der Tüte wegzuwerfen. Mit einer aufgesetzt sorglosen Stimme. Als würde er ihm nichts bedeuten. Rein gar nichts. Aber das war eine Fassade, die sie durchschaute. Er wollte sie schützen. Darüber sollten sie unbedingt sprechen, wenn er zurückkam. Sie musste nicht beschützt werden. Sie vertrug mehr, als er glaubte. Dennoch gefiel ihr, dass er es versucht hatte.
Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen ging sie ins Schlafzimmer und zog die Tüte hervor. Sie schob das Frühstück beiseite und begann, den Inhalt der Tüte auf dem Tisch auszubreiten.
Fünfundvierzig Minuten später hatte sie alles gelesen.
Ganze zwei Mal.
Alle Papiere handelten von einem gewissen Valdemar Lithner. Er hatte ziemlich viele Dummheiten begangen. Illegale Machenschaften, soweit sie es verstanden hatte. Das konnte stimmen, denn Sebastian hatte von sich erzählt, dass er ab und zu mit der Polizei kooperierte. War dieser Mann jemand, dem sie auf die Schliche kommen wollten? Jemand, den sie im Visier gehabt hatten, und nun hatten sie Sebastian das Material aus den Ermittlungen übergeben, damit er die entsprechende Person psychologisch auswertete? Ein Profil erstellte? Das war gut möglich.
Doch warum sollte er sie dann bitten, den Inhalt der Tüte zu entsorgen, und was hatte Sebastian daran so sehr belastet? Warum hatte er nicht einfach die Wahrheit gesagt? Erklärt, worum es ging und warum man die Unterlagen nicht mehr aufzuheben brauchte?
Nein, das passte nicht zusammen. Ellinor hatte zwar keine juristische Ausbildung, aber dennoch war sie ziemlich sicher, dass das Material vor ihr ausreichen würde, um diesen Valdemar für eine geraume Zeit hinter Schloss und Riegel zu bringen.
Also musste etwas anderes dahinterstecken.
Wusste Lithner, in was für einer misslichen Lage er sich befand? Hatte er Sebastian und die anderen Polizisten bedroht, damit sie die Ermittlungen einstellten? Sie hatte sich eingebildet, dass Sebastian gestern am Telefon «Hinde» gesagt hatte. Aber es konnte genauso gut «Lithner» gewesen sein. Die Namen klangen ähnlich, und sie hatte nicht genau hingehört. Was, wenn Sebastian etwas zugestoßen war? Wenn er deshalb nicht nach Hause gekommen war? Sie stand auf.
Ellinor Bergkvist war keine Person, die sich nur auf ihre Phantasie verließ. Zwischen den Materialien lag ein Zettel mit einem Namen und einer Handynummer. Vermutlich von dem Mann, der die Papiere zusammengestellt hatte. Sie griff zum Telefon. Es konnte nicht schaden, ein bisschen mehr zu erfahren. Tatsachen würden sie ein wenig beruhigen. Nach dem dritten Klingeln meldete sich ein Mann.
«Ja …?»
«Hallo», sagte Ellinor. «Ich würde gern mit Trolle Hermansson sprechen.»
«Wer ist denn da?», fragte der Mann.
«Mein Name ist
Weitere Kostenlose Bücher