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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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nur zum Spaß. Und möglicherweise würde sie ja sogar die neue Hochbahn nehmen. Was für eine kühne Idee!
    Sie lachte über sich selbst, über die furchtsame Person, die sie kurzzeitig einmal gewesen war, und marschierte dann in den Salon.
    Dort saß ein Mann, fast ganz mit dem Rücken zu ihr, mit glattem, zurückgekämmtem Haar und in einem einfachen Abendsakko. Er saß auf einem der Stühle am Kamin, über dem Helens Bild thronte, und schien gedankenverloren zu der Verblichenen hochzublicken.
    » Oh! « , rief Sibyl aus. » Tut mir furchtbar leid, Sie zu stören. Ich wusste nicht, dass jemand … «
    Doch sie kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden, denn während sie sprach, war der Mann aufgestanden, und sie sah, dass es Benton Derby war.
    Er durchquerte rasch den Raum, legte die Arme um ihre Taille und drückte sie an sich. Sie schnappte nach Luft, ihre Arme glitten an seinem Rücken empor, und dann grub sie die Finger so fest in den Stoff seines Jacketts, als wollte sie sich vergewissern, dass er wirklich da war.
    » Ben « , hauchte sie, ihre Nase an seine Brust gebettet. Sie holte tief Luft, atmete genüsslich seinen ganz besonderen Duft ein, diese würzige Mixtur aus französischer Rasierseife und seiner Tabaksmischung, die er sich in einem Zigarrenladen am Harvard Square zusammenstellen ließ.
    » Hallo « , flüsterte er. Seine Hand legte sich zärtlich um ihr Kinn. Dann hob er es mit einem Finger an und presste seinen Mund auf ihre Lippen.
    Sibyl spürte, wie sich ihre Lider flatternd schlossen und ihr die Knie weich wurden. Doch sein Arm um ihre Taille hielt sie fest, und so legte sie die Hände um seinen Leib und erwiderte seinen Kuss eine köstliche Minute lang.
    Als sie sich endlich trennten, blickte Sibyl in sein Gesicht empor, und ihre Augen glänzten vor Glück. Erst als sie ihn näher betrachtete, erstarrte ihr Lächeln zu Eis. Über der rechten Braue hatte er eine tiefrote gezackte Narbe, die an seinem Auge vorbei über die Wange bis hinab zu seinem Kinn führte. Die Haut der Wange war zernarbt, als wäre bei der Verwundung der Muskel durchtrennt worden und danach schlecht verheilt. Sie musste all ihre Willenskraft aufbieten, um ihr Entsetzen zu verbergen, bemerkte jedoch sofort, dass ihr dies nicht recht gelang.
    In seine Augen trat ein gekränkter Ausdruck, als er begriff, was sie sah.
    Sie beeilte sich, seine Befürchtungen zu beschwichtigen, und sagte: » Es tut mir leid. Das habe ich nicht gewusst. Warum hast du es mir nicht geschrieben? Deinen Briefen habe ich niemals entnommen, dass etwas passiert ist. «
    Er blickte nach unten, drückte seine Stirn an die ihre. » Ich wollte wohl nicht, dass du dir Sorgen machst. Es sieht hässlich aus, ich weiß, aber ich hatte Glück. Ein paar Zentimeter näher am Auge, und ich hätte blind sein können. Oder tot. Viele andere um mich herum hatten nicht so viel Glück. «
    Sibyl schluckte, hob die Hand und strich behutsam mit der Fingerspitze über die frische Narbe. » Es tut mir leid « , flüsterte sie. » Aber ich bin so froh, dich zu sehen. Ich bin so froh, dass du in Sicherheit bist. «
    » Ja « , sagte er, auf einmal nervös geworden. Er unterbrach sich, die Arme immer noch um sie gelegt. » Sibyl, ich … « , begann er, wandte dann den Blick ab.
    » Was ist denn? « , fragte sie. Doch sie brauchte nur den Ausdruck tiefen Kummers in seinen Augen zu sehen, um zu wissen, auf welche Nachricht er sie gerade vorbereitete. Langsam stieß sie den Atem aus, um sich zu wappnen.
    » Es geht um Harley, stimmt’s « , sagte sie, doch es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Eine Tatsache, von der sie bereits wusste, dass sie wahr war.
    Benton nickte, die Lippen zusammengepresst, und blinzelte, als habe er beschlossen, seine wahren Gefühle bezüglich der Information, die zu überbringen er auf sich genommen hatte, vor ihr verbergen.
    Sie fing zu zittern an, und er hielt sie noch fester.
    » War es denn … « , stammelte sie. » War es denn so, wie ich es … « Sie brachte es nicht über sich, ihren Satz zu beenden. Ein tiefes Gefühl der Schuld erfüllte sie.
    Er nickte.
    Sie lehnte die Wange an seine Brust, blickte eine Minute lang ins Nichts. Er hielt sie umarmt, wartete.
    » Hat es wehgetan? Meinst du? « , fragte sie mit leiser Stimme. » Ganz ehrlich « , erwiderte er mit einer Stimme, die sie nur gedämpft hören konnte, » glaube ich, dass es dafür viel zu schnell ging. Es würde mich überraschen, wenn er überhaupt etwas gespürt hat.

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