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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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gewesen wie sie. So wie damals in Mrs Dees verzaubertem Séance-Zirkel von Angehörigen der Titanic- Opfer hatten sich auch jetzt alle in ihrer zutiefst menschlichen Zerbrechlichkeit wie zusammengeschweißt gefühlt. Das Stigma bereitete ihr keine Sorgen. Zumal sie wusste, mit wem sie es teilte.
    » Sehr « , seufzte sie. Mit einem wehmütigen Lächeln streckte sie die Hände aus. Dort hingen sie, mitten in der Luft, ohne dass sich auch nur ein Muskel regte.
    Er schnalzte anerkennend mit der Zunge und seufzte ebenfalls. » Beeindruckend « , sagte er, und seine blassblauen Augen leuchteten einen Moment lang auf. » Sehr beeindruckend. Vielleicht sollte ich ja auch dorthin. «
    » Vielleicht, ja. « Und in der Tat hatte sie vorgehabt, nach ihrer Heimkehr das Thema ihrem Vater gegenüber anzuschneiden. Obwohl es für ihn sicher viel schwerer werden würde. Fast sechzig Jahre Abhängigkeit waren nicht so leicht abzuschütteln.
    » Hm « , machte ihr Vater, strich sich übers Kinn und musterte sie. In der Tiefe seiner Augen lauerte Traurigkeit, doch Sibyl sah ihm auch an, wie sehr er sich darüber freute, dass sie wieder zu Hause war.
    Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und streckte die Füße aus. » Also « , sagte sie und fragte sich, welchem Thema sie sich zuwenden sollten. » Hast du Nachricht von Harley? Sein letzter Brief an mich war vor zwei Monaten. Er klang aber so, als wäre er bester Laune und bereit, die Deutschen eigenhändig in der Luft zu zerreißen. Er ist beim Briefeschreiben kaum zu bremsen, findest du nicht? Wer hätte geahnt, dass er ein solches Händchen für Propaganda hat! «
    » In der Tat « , pflichtete ihr Vater ihr bei. » Nun, dein Bruder war immer schon leicht zu beeindrucken. Im richtigen Zusammenhang kann das eine Tugend sein. «
    » Von Ben habe ich erst vor ein paar Wochen einen erhalten. Von Harley jedoch keinen. Schätze, unsere Briefe befinden sich gerade alle weit unter dem Meeresspiegel, an Bord irgendeines U-Boots. Muss überhaupt eine haarige Angelegenheit sein, Post und Versorgungsgüter durchzubekommen. «
    » Hm « , sagte ihr Vater. » U-Boote. « Er hielt inne und warf Sibyl einen Seitenblick zu, die diesen bemerkte, jedoch nichts sagte. » Nein, ich fürchte, dass ich schon eine ganze Weile nichts mehr von ihm gehört habe. «
    Sie saßen ein paar Minuten wortlos da, genossen die Stille des Hauses. Und in der Tat war diese Stille tiefer, als Sibyl es in Erinnerung hatte. Zuerst konnte sie nicht festmachen, woran das wohl liegen mochte. Etwas fehlte. Aber was?
    Erst nach einer Weile merkte sie, dass es das fehlende Ticken der Kaminuhr war. Sie stand auf und ging zum Kamin hinüber, klopfte mit dem Fingernagel an das Glasgehäuse. Kein Ticken. Die Zeiger standen auf zwei Uhr zwanzig.
    » Oh « , sagte ihr Vater, als er ihr Interesse bemerkte. » Ja, ich habe aufgehört, sie aufzuziehen. Macht zu viel Mühe. Ich habe sowieso immer mein Chronometer dabei, wozu also? Nur noch etwas, an das ich denken muss. «
    Sie ließ den Blick auf Lan Allstons Gesicht ruhen, als er dies sagte, und bemerkte, dass unter seiner gespielten Gleichgültigkeit eine, wenn auch kaum wahrnehmbare, Erleichterung zu spüren war, als sei ihm eine der vielen Verpflichtungen, in die er eingebunden war, abgenommen worden. Es tat ihr gut, dies zu beobachten.
    » Nun « , meinte sie. » Wann gibt es Abendessen? Ich bin am Verhungern. «
    Er stand auf und nahm sie am Arm. » Zur üblichen Zeit. Aber mach dich bitte schick, mein Liebes. Wir haben einen Gast. «
    » Was? « , fragte Sibyl und hob die Augenbrauen. » Ach Papa. Ich habe dir doch extra gesagt, dass du keinen Aufwand betreiben sollst. «
    » Es liegt mir fern, einen so direkten Befehl zu missachten « , erwiderte der Captain. » Aber ich kann dir versichern, Aufwand wird nicht betrieben. «
    Sibyl kam deutlich vor der verabredeten Zeit zum Abendessen wieder herunter. Sie wusste, dass das Kleid, das sie trug, vollkommen außer Mode war – ein pistazienfarbenes Satingewand mit rundem Rock und hoher Taille, während in den Zeitschriften und in Town Topics längst ein anderer Stil propagiert wurde und alle Frauen diese köstlich schmalen Kleider trugen, die an griechische Säulen erinnerten, figurbetont, in fließenden Mustern und von exotischen Haarbändern gekrönt. Sibyl betrachtete sich noch einmal im Spiegel. Nun, das Jahr ging sowieso bald zu Ende. Vielleicht würde sie morgen einmal zu Filene’s fahren, um nach Kleidern zu schauen, einfach

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