Die Frauen von der Beacon Street
willkommen geheißen hat « , fiel Mrs Doherty auf ihre typische Art mit der Tür ins Haus. » Man hätte doch denken können, dass er Sie mit dem Wagen abholt, wenn Sie nach Hause kommen. «
Sibyl bemerkte, dass dieses Vergehen die Haushälterin schwer belastete und ihrem Vater noch lange nachgetragen würde.
» Oh, ich habe ihn darum gebeten, nicht zu kommen « , sagte Sibyl zur Rechtfertigung ihres Vaters und zog die Handschuhe aus. » Ich wollte gerne allein heimkommen. «
» Aha. Ihnen konnte man noch nie in den Kram reden « , erwiderte die Haushälterin mit einer Mischung aus Schroffheit und Zuneigung. Sie mühte sich mit dem schweren Gepäck ab und zog es in mehreren Abschnitten über den Boden bis zur Treppe. Sibyl entging dieser Kampf keineswegs, und ihr wurde voller Überraschung bewusst, dass Mrs Doherty eben nicht mehr das alterslose Urgestein war, für das die Allstons sie immer gehalten hatten. Sie wurde älter. Sie würde müde werden. Als allerersten Akt nach ihrer Rückkehr als Haushaltsvorstand beschloss Sibyl, innerhalb der nächsten Woche zusätzliches Personal einzustellen, ein oder zwei Dienstmädchen, die Mrs Doherty nach Herzenslust herumschikanieren konnte.
Sibyl ging auf den großen Salon zu, atmete tief den vertrauten Geruch ihres Zuhauses ein, eine ganz besondere Duftmischung aus Zitronenölseife, Wollteppich und poliertem Holz. Die Vorhänge waren alle zurückgezogen, und die spätherbstliche Sonne, die durch die Efeublätter blinzelte, warf rötliche Lichtpfützen auf den chinesischen Teppich und brachte das Muster zum Tanzen. Sibyl blickte zu Helens Porträt empor, das noch immer an seinem Ehrenplatz über dem Kamin hing.
» Hallo, Mutter « , sagte sie. Natürlich gab ihr das gemalte Konterfei ihrer Mutter keine Antwort, obwohl es so beredt schaute, doch Sibyl war dennoch froh, es begrüßt zu haben. Sie schlenderte durchs Zimmer, fuhr mit der Hand leicht über eine Stuhllehne hier und die Oberfläche einer Anrichte dort und fühlte sich an diesem seltsamen Ort, den sie Zuhause nannte, willkommen.
Die Schiebetüren zum Salon standen offen, als würden sie warten. Sibyl hielt den Atem an, während sie eintrat, denn als Erstes sah sie, dass auch hier die Vorhänge zurückgezogen waren. Früher hatte dieses private Wohnzimmer der Allstons stets im Halbdunkel gelegen, verborgen hinter dicken Holzläden und einer Schicht Vorhänge. Irgendwann hatte Sibyl vergessen, dass der Raum überhaupt Fenster hatte. Sie hielt inne und blickte über die glitzernde Fläche des Charles River hinweg, der sich unterhalb des vorgelagerten Stadthauses in seinem breiten Bett schlängelte. Die sinkende Sonne betupfte die gekräuselte Wasseroberfläche mit vielen kleinen Farbsprenkeln in tiefem, herbstlichem Rot und Orange. Ein kleines Segelboot dümpelte gemächlich über den Lichtpfad der Sonne, und sein Segel leuchtete rot im Abendlicht. Sibyl seufzte genüsslich.
» Das ist schön, nicht? « , sagte die Stimme ihres Vaters, und als sie sich umdrehte, stand er direkt vor ihr.
Mit einem freudigen Lachen rief sie » Papa! « , warf ihm die Arme um den Hals.
Auch er lachte, erwiderte die Umarmung.
» Wirklich wunderschön « , pflichtete sie ihm bei und drehte sich noch einmal zu dem Fenster mit seinem atemberaubenden Panorama. » Ich hatte fast vergessen, dass man von hier aus den Fluss sehen kann. Warum haben wir früher eigentlich nicht immer die Fenster offen gelassen? «
» Reine Gewohnheit, schätze ich « , meinte ihr Vater.
Sie standen nebeneinander und bewunderten das Wasser, hinter dem die Stadt Cambridge ganz allmählich ins abendliche Dunkel sank.
» Na dann « , sagte ihr Vater. » Du bist wieder zu Hause. «
» Das bin ich, ja « , bestätigte Sibyl und ging auf ihren Stammplatz gegenüber dem Lehnstuhl ihres Vaters zu.
Er nahm ebenfalls Platz, legte eine Hand auf sein Knie und die andere nachdenklich über seinen Mund und betrachtete seine Tochter. » Du siehst gut aus « , verkündete er nach einer Weile.
» Ich fühle mich auch gut « , entgegnete sie mit einem kleinen Lächeln.
» Dann bist du also froh, dass du es gemacht hast? « , erkundigte er sich. Hinter der Frage schien auch ein Anflug von Sorge zu lauern. Ganz gleich, ob man dort von einer Sache kuriert wurde, die selbst in den sprichwörtlichen besten Familien vorkam – ein Stigma war es dennoch, das wusste sie. Doch wenn ihr Vater einige von diesen » besten « gesehen hätte, wäre er vermutlich ebenso überrascht
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