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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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den unzähligen Gefühlen, die sich daraus ergeben konnten, den Ursprung jedes Verbrechens gesehen. Hunger brachte Ehrgeiz, Neid und Rache hervor; die Kinder der Liebe hießen Eifersucht, Hass und Zorn. Noch hatte Ricciardi nicht genügend Hinweise, um herauszufinden, welche entartete Leidenschaft bei der heutigen Vorstellung Regie geführt hatte.
    Maione riss ihn aus seinen Gedanken:
    – Commissario, kommen Sie sich das ansehen.
    Die Stimme des Brigadiere kam aus einem anderen Raum, einem kleinen Salon neben dem Schlafzimmer. Der Raum war mit Girlanden und Kokarden für Weihnachten geschmückt, in der Mitte befand sich auf einem Holztisch eine große Krippe. Sie war wirklich bemerkenswert und enthielt alle traditionellen Elemente. Ricciardi war kein Experte, würdigte jedoch die sorgfältig gestaltete Landschaft, die Tiere und Menschen sowie die architektonischen Bestandteile, die so angeordnet waren, dass dadurch zwar die Proportionen gewahrt wurden, sie aber größer erschienen, als sie tatsächlich waren.
    Er wandte sich an Maione:
    – Schön. Aber was ist damit?
    Der Brigadiere antwortete:
    – Traditionell spielen die Dudelsackpfeifer ihre Andacht an
neun Tagen genau hier, vor der Krippe, wo das Jesuskind liegt. Folglich wurden die Lupos, Vater und Sohn, hier hereingelassen. Nun scheint es, obwohl wir es nicht mit Bestimmtheit sagen können, dass in der Wohnung nichts fehlt. Die Garofalos waren dem Anschein nach wohlhabend, Möbel und Einrichtung sind neu und elegant und auch verschiedene Objekte aus Silber stehen noch an ihrem Platz. Außer dem angerichteten Blutbad wurde nichts kaputt gemacht oder aufgebrochen.
    Ricciardi war nicht klar, worauf sein Kollege hinauswollte:
    – Ja, und? Warum sollte ich denn herkommen?
    Maione lächelte verschlagen:
    – Hier haben Sie den Grund, Commissario. Sie müssen sich bücken. Schauen Sie unter die Tischdecke, auf der die Krippe steht.
    Ricciardi bemerkte, dass unter der auf dem Holztisch aufgebauten Landschaft ein mit Sternen besticktes rotes Tuch lag, das fast bis zum Boden reichte. Er kniete sich neben Maione, der einen Zipfel davon anhob, und sah Scherben. Einige davon nahm er in die Hand und hielt sie ans Licht.
    Er erkannte unter anderem ein halbes bärtiges Gesicht und den gebogenen Griff eines Stocks mit einer kleinen Hand daran. Er schaute zur Krippe, und noch bevor er irgendeine Frage stellen konnte, antwortete Maione:
    – Richtig, Commissario. Die Krippe ist vollständig, bis auf den heiligen Josef.

V
    Sie verweilten eine Zeit lang kniend zu Füßen der Krippe, Ricciardi mit einigen Bruchstücken der Figur des heiligen Josef in der Hand, und sahen sich verblüfft an. Schließlich wandte sich der Kommissar an den Brigadiere:
    – Und was bedeutet das? Vielleicht ist die Figur einem der Garofalos hingefallen, also zufällig kaputt gegangen.
    Maione kratzte sich am Kopf, wobei er seine Mütze ein paar Zentimeter anhob.
    – Also, ich weiß nicht, Commissario. Wenn mir etwas bei mir zu Hause hinfällt, sammle ich die Stücke auf und werfe sie in den Müll, wenn man es nicht reparieren kann. Ich kehre sie nicht unter einen Teppich oder, wie in diesem Fall, die Tischdecke. Da scheint mir Absicht im Spiel gewesen zu sein.
    – Aber was soll das heißen? Ich hätte ja verstanden, wenn man die Figur weggenommen oder absichtlich zerbrochen hätte, um ein Zeichen zu setzen: Dann hätte man sie auf dem Boden liegen lassen, gut sichtbar. Stattdessen hat man versucht, sie zu verstecken. Was bedeutet das?
    Der Brigadiere sah ratlos aus:
    – Ich weiß es wirklich nicht. Es könnte natürlich Zufall sein, ich meine, der Mörder stößt an die Krippe und einer der Hirten fällt herunter; weil er auf der Flucht ist, hält er nicht an, um die Stücke aufzusammeln, noch dazu das ganze Blut … also so was in der Art.
    Ricciardi dachte laut nach:
    – Aber das Zimmer liegt nicht auf dem Weg von der Wohnungstür zum Schlafzimmer, man muss schon absichtlich hineingehen. Nein, falls es der Mörder war, wollte er damit etwas sagen. Aber was?
    An der Tür zeigte sich Doktor Modo. Er hatte die Ärmel
hochgekrempelt, seine weißen Haare waren zerzaust und seine Hände blutverschmiert.
    – Da seid ihr ja, zwei Polizisten in mystischer Verzückung, auf Knien vor dem Jesuskind. Ein rührender Anblick, eure Bekehrung! Was werdet ihr jetzt tun, ins Kloster gehen, um die Gärtchen zu pflegen?
    Ricciardi erhob sich behände, Maione dagegen mit einigen Schwierigkeiten.
    – Bruno, es freut

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