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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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jagt ihr mich quer durch die ganze Stadt!
    Ricciardi hatte keine Miene verzogen:
    – Da bringst du mich auf eine Idee. Merk's dir, Maione: Den nächsten Mord arrangieren wir im Wartesaal des Krankenhauses, damit unser lieber Doktor keine kalten Füßchen kriegt. Wir sollten wirklich rücksichtsvoller mit ihm umgehen, er ist nicht mehr der Jüngste.
    Der Doktor stemmte kämpferisch die Hände in die Hüften:
    – Ich muss dir leider sagen, dass ich zu der Sorte Leute gehöre, die mit dem Alter besser werden. Weiße Haare hatte ich ohnehin schon mit vierzig. Aber was dich angeht: Ich hab' gehofft, dass der Schlag auf den Kopf deinen Sinn für Humor ein bisschen zurechtgerückt hätte, stattdessen seh' ich, du bist ganz der Alte geblieben. Nächstes Mal, wenn ich dich unterm Messer habe, werde ich der Versuchung nicht widerstehen, dir den Kopf zu öffnen, um ein paar Dinge darin in Ordnung zu bringen.
    Ricciardi schnaubte:
    – Ach was, die paar Stiche. Es braucht schon mehr als eine Windschutzscheibe, um mir den Schädel zu zertrümmern; ich bin vom Land, wir haben härtere Schädel als ihr Städter. Ich seh' schon, Weihnachten versetzt dich nicht in gute Laune.
    – Du weißt doch, ich bin bekennender Atheist, und Weihnachten hat mich, um ehrlich zu sein, schon immer traurig gemacht. All die Familien, die zusammenkommen, weil sie sich angeblich gern haben, wo wir doch Tag für Tag erleben, wie sehr sie sich hassen. Einerseits lächeln und gute Wünsche aussprechen, andererseits kein gutes Haar an jemandem lassen. Man stellt Reichtum und Wohlstand zur Schau, bloß um kurz darauf zu hungern. Das ist doch widerlich.
    Maione lachte:
    – Meine Güte, Doktor, was sind Sie optimistisch! Also, zu Heiligabend lade ich Sie zu uns nach Hause ein. Dann schauen wir mal, ob Sie Brokkoli, Muschelsuppe und Aal widerstehen können, wie sie meine Lucia zubereitet, dazu ein paar Liter Gragnano, den mir ein Freund aus der Gegend besorgt. Wetten, dass wir Ihnen Weihnachten schmackhaft machen werden?
    – Danke, Maione. Vor allem dafür, dass Sie mir offensichtlich zuhören. Hab' ich nicht gesagt, dass das viele Essen Ihnen nicht gut tut? Wann sehen Sie endlich ein, dass Sie gesünder leben müssen?
    – Ich seh' schon, Doktor, heute schaff' ich's nicht, Sie aufzuheitern. Weihnachten scheint Sie wirklich traurig zu machen.
    – Es liegt nicht an Weihnachten, die Bosheit der Menschen macht mich traurig. Heute Morgen, bevor ich herkam, musste ich schon ein paar Köpfe zusammenflicken, weil eure faschis
tischen Freunde auf ihren Spaziergängen nach Lust und Laune die Leute niederknüppeln. Ganz gleich, ob Jahr 9 oder 1931: Wer an der Macht ist, nutzt sie dazu, die Machtlosen zu unterdrücken.
    Ricciardi sah auf die Uhr:
    – Sieh an: Wir unterhalten uns schon seit drei Minuten, ohne dass die Politik ins Spiel gekommen ist. Fast ein Rekord. Begreifst du nicht, dass dein Gerede dir bald selbst einen eingeschlagenen Schädel bescheren wird?
    Modo grinste listig:
    – Und warum? Weil die Polizei nicht in der Lage ist, mich zu beschützen. Weder mich noch die übrigen ehrbaren Bürger. Übrigens: Möchtest du mir nicht deine aktuelle Kundschaft zeigen? Dein Blutdurst hat uns ja diesmal ans Meeresufer geführt: Wer ist denn gestorben, ein Fischer? Oder hast du eine mordende Sirene aufgespürt?
    – Komm mit mir nach oben, dann stelle ich dir ein hübsches Paar vor. Ich sage dir auch gleich, dass es seit Kurzem ein neues Waisenkind gibt. Sie ist acht und weiß noch nichts davon. Die Witze kannst du dir also sparen.

    Während Modo, Maione und die beiden Wachen in gewohnter Choreographie um die Leichen herumtänzelten, dachte Ricciardi etwas abseits von ihrem Ballett über die Gefühle nach, die er vom Schauplatz des Verbrechens her wahrnahm. Neugierig machte ihn besonders der Satz der toten Frau – Hut und Handschuhe? –, der zugleich herzlich und respektvoll ausgesprochen worden war. Der Kommissar spürte eine gewisse Vertrautheit und eine aufrichtige Sympathie hinter der förmlichen Frage. Der Mann im Schlafzimmer dagegen trat barsch
und entschlossen auf. Sein Ich muss gar nichts und schulde niemandem etwas deutete auf eine nicht anerkannte finanzielle Verpflichtung hin. Geld und Sympathie, Misstrauen und Zuneigung, Ablehnung und Ehrerbietung. Das alles stand im Widerspruch zueinander. Der Mann hatte ans Geld gedacht, die Frau an einen freundlichen Empfang bei sich zu Hause.
    Schon immer hatte der Kommissar im Hunger und in der Liebe sowie in

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