Die Galerie der Lügen
selbst nicht ganz echt.
Das fing schon bei seinem Lächeln an, welches er der zwölfköpfigen Delegation aus dem Land des Lächelns zur Schau stellte. Als Leiter des Kunsthistorischen Museums Wien hätte er beim ersten Aufflackern des Blitzlichtgewitters eigentlich einen strengen Verweis aussprechen müssen. Die in den Ausstellungsräumen allgegenwärtigen Piktogramme sollten selbst für Japaner gut zu lesen sein: Fotografieren verboten! Die Botschaft war klar. Es wurde aber trotzdem fotografiert. Dabei schadete zu viel Licht den Gemälden. Zu wenig Geld allerdings auch.
Die Vertreter des japanischen Automobilriesen hatten großzügige Zuwendungen in Aussicht gestellt. Sollten aus den Absichtserklärungen echte Euro werden, dann stand dem Museum die größte Einzelspende seit seiner Fertigstellung im Jahre 1891 ins Haus. Mittel, die für die aufwändige Restaurierung einiger Werke dringend benötigt wurden. Als Gegenleistung würde die Gemäldegalerie zukünftig einen japanischen Beinamen tragen, was in der traditionsverhafteten österreichischen Hauptstadt schon im Vorfeld für einen Sturm der Entrüstung gesorgt hatte. Aber was sollte man tun? Das Kulturbudget des Staatshaushaltes schrumpfte von Jahr zu Jahr. Die Fördervereine konnten auch keine Wunder vollbringen. Kurzum, es gab Sachzwänge, die in der Generaldirektion des Kunsthistorischen Museums für ein mildes Klima gesorgt hatten, welches den potentiellen Geldgebern aus Fernost fast schon Narrenfreiheit bescherte.
Immerhin, die Gäste zeigten sich beeindruckt. Schon über die von der italienischen Renaissance inspirierte Pracht des Hauptgebäudes am Maria-Theresien-Platz waren sie fast aus dem Häuschen geraten, aber die darin ausgestellten, durch die Habsburger im Laufe von Jahrhunderten zusammengetragenen Kunstschätze begeisterten sie restlos. Obzwar sich der Direktor im Gehege von Regularien und Vorschriften am wohlsten fühlte, konnte man die asiatische Verzückung nicht ganz emotionslos verfolgen, schon gar nicht, wenn dieser Rauschzustand in einem Anfall von Freigebigkeit zu gipfeln drohte. Also verbuchte Hofrat Prof. Dr. Stan gerl die Kamerablitze unter der Rubrik »höhere Gewalt«, machte gute Miene zum bösen Spiel und führte die Besucher zum nächsten Saal. Er selbst blieb am Durchgang stehen, um der fotografierwütigen Schar den Vortritt zu lassen – und eventuelle Nachzügler einzufangen. Abgesehen von der Gruppe war das riesige Museum praktisch leer, weil es montags für die Öffentlichkeit geschlossen blieb. Ein Umstand, den Stangerl sehr begrüßte, brauchte er sich so wenigstens nicht vor anderen zu blamieren. An diesem Morgen hatte er seinen unüberhörbar wienerischen Sprachapparat mit einem perfekten englischen Wortschatz bestückt. Um das Knarren der Parkettdielen und die angeregt tuschelnde Meute zu übertönen, musste er seine Stimme heben, als er, durchaus mit Herzblut, zu dozieren begann.
»Hier nun einige alte Meister, die den Ruf unseres Hauses als eines der weltweit führenden Kunstmuseen mitbegründet haben. Ich verweise insbesondere auf die Gemälde von Lukas Cranach dem Älteren. Darunter die Hirschjagd des Kurfürsten Friedrichs des Weisen von 1529, Judith mit dem Haupt des Holofernes, das etwa ein Jahr später entstand, und natürlich Das Paradies. Cranach nutzte hier die Möglichkeit, ungestraft von den gestrengen Sittenwächtern der Kirche, den unbedeckten menschlichen Körper zu erkunden – eine Verlockung, der im 15. und 16. Jahrhundert viele Künstler erlegen sind. Der Hofmaler des sächsischen Kurfürsten liebte Darstellungen des Sündenfalls. Eine andere, im Zweiten Weltkrieg verschollen geglaubte Umsetzung dieses Themas wurde übrigens erst vor zwölf Jahren bei einer Beutekunst-Ausstellung im Moskauer Puschkinmuseum wiederentdeckt. Unser Gemälde hier ist auf Lindenholz gemalt und stammt aus dem Jahr 1530. Wir sind besonders stolz auf das Werk, weil…«
»Entschuldigen Sie bitte, Professor«, unterbrach den Direktor eine sanfte Stimme. Sie gehörte Dr. Haru Nakamura, dem japanischen Delegationsleiter und Vorsitzenden der Förderkommission. Der grauhaarige, kleine Mann hatte sich einen Weg durch die Gruppe gebahnt, nur um dem Dozenten ins Wort zu fallen. So jedenfalls wertete Stangerl das Manöver. Der Hofrat gab äußerst ungern die Rolle des Museumsführers. Was er aber wirklich hasste, waren Störungen während eines solchen Auftritts.
»Ja, Dr. Nakamura?«
Der Japaner deutete in die Gruppe seiner
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