Die Galerie der Lügen
zum Scheitern verurteilt. Der Mensch, so meinen sie, sei ein viel zu komplexes Lebewesen, um ihn ohne eklatante Schädigungen zu klonen.
Sollten beim Versuch, dieses Werk in eine Schublade zu zwängen, Verstauungsprobleme entstehen, wäre mir das sehr recht. Denn ich sehe es vor allem als Buch gegen Schubladen.
Das Evolutions-Paradigma und die Intersexuellenthematik sind, aus dem »Fenster« des Romans betrachtet, zwei Seiten derselben Münze. Die Gesellschaft wird oft wie ein selbstständig handelndes Wesen beschrieben, das entweder etwas mag oder es verschmäht. Mir ist die andere Sichtweise lieber, der zufolge wir uns als individuelle Zellen in diesem Metaorganismus zu betrachten und uns zu fragen haben, wie wir als Einzelne mit Menschen umgehen, die nicht in unser Erwartungsschema passen.
Und dazu gehören eben auch die Intersexuellen oder Hermaphroditen. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat Anne Fausto-Sterling eine Untersuchung durchgeführt, nach der 1,7 % der Bevölkerung von diesem Phänomen betroffen sind; zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen waren das etwa fünf Millionen US-Bürger. Mit einer etwas restriktiveren Erhebungsmethode kommt man in D eutschland immerhin auf etwa 80 000 bis 100000 Menschen, die keinem der beiden Geschlechter eindeutig zuzuordnen sind. Grob gerechnet finden wir unter 1000 Menschen also einen, der intersexuell ist. Obwohl jeder von uns schon solchen Zeitgenossen begegnet sein dürfte, vermutlich sogar den ein oder anderen in seinem Bekanntenkreis hat, sieht und hört man von ihnen wenig. Wieso?
Weil diese Personen nicht in unser Erwartungsschema passen. Wir denken, reden und sehen in männlichen und weiblichen Kategorien. Das wurde mir schmerzlich bewusst, als ich die Unmöglichkeit erkannte, von Alex als Neutrum zu schreiben. Unsere Sprache fordert bei Personen die geschlechtsspezifische Festlegung. Und weil wir nun einmal in dieser Sprache denken, tun wir uns mit Hermaphroditen so schwer.
In Wirklichkeit ist das Problem natürlich weitaus komplexer. Erhellende, aber auch verstörende Einblicke erhielt ich im Laufe meiner Recherchen durch die Websites der Betroffen wie der deutschen XY-Frauen ( www.xy-frauen.de ) und besonders auch durch das hervorragende Sachbuch Leben zwischen den Geschlechtern von Ulla Fröhling.
Die größte Fiktion in meinem Roman ist vielleicht der Wandel im Denken jener Menschen, die durch Alex Daniels’ »Galerie der Lügen« ins Grübeln gekommen sind. Mahatma Ghandi vertrat die Überzeugung: »Alle unsere Streitigkeiten entstehen daraus, dass einer dem anderen seine Meinung aufzwingen will.« Besonders bei der Frage nach der Entstehung des Lebens scheint sich dieser Grundsatz zu bestätigen. Auf beiden Seiten befleißigen sich die Kontrahenten feindseliger Polemik: Hier wird den Darwinisten mit der Hölle gedroht und dort den ID -Anhängern quasi mit Berufsverbot. »Hass ist die Rache des Feiglings dafür, dass er eingeschüchtert ist«, legt George Bernard Shaw im Drama Major Barbara seinem Mr Undershaft in den Mund. Hier sehe ich fürwahr eine der Quellen, aus denen sich die Angriffe gegen Kritiker gleich welcher Couleur speisen. Albert Einstein sagte: »Wenn die meisten sich schon armseliger Kleider und Möbel schämen, wie viel mehr sollten wir uns da erst armseliger Ideen und Weltanschauungen schämen.«
Auch um mich vor meinen Kindeskindern nicht schämen zu müssen, habe ich dieses Buch geschrieben, frei nach Friedrich Hebbel: »Es ist jedenfalls besser, ein eckiges Etwas zu sein, als ein rundes Nichts.«
Ralf I sau
Mai 2005
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* Entnommen aus: Phillip E. Johnson: Darwin im Kreuzverhör. CLV Christliche Literatur-Verbreitung. Bielefeld, 2003 (engl. Orig. 1993).
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