Die Gamant-Chroniken 02 - Die Rebellen von Tikkun
daß er mir weh tut.«
»Mikael, du bist der artigste Junge, den ich kenne. Es ist nicht deine Schuld, daß du nicht schlafen kannst.« Er streckte einen Finger aus und tippte gegen Mikaels Brust. »Es sind nur ein paar … traurige Dinge in deinem Kopf, die dich wachhalten. Aber du brauchst den Schlaf. Doktor Iona gibt dir eine Spritze. Es wird nicht weh tun, das verspreche ich dir. Komm, leg dich jetzt hin.«
Tahn erhob sich und führte ihn zum Bett, wo der Junge sich auf die Kante setzte, ohne ihn anzuschauen. Coles Magen revoltierte. Mikael holte tief Luft und verbarg die Augen in seinen Händen. Cole streichelte Mikaels Haar und schaltete die Lampe über dem Tisch ein, bevor er zur Tür ging und auf den Öffner drückte. Die Tür glitt beiseite, und Dr. Iona wurde sichtbar. Der Arzt war ein mittelgroßer Mann mit kurzgeschnittenem, graumeliertem Haar und einer Knollennase. Die Goldlitzen in seinen Epauletten funkelten im Licht.
»Kommen Sie herein, Doktor. Mikael ist ruhig und bereit.«
Iona trat ein und warf einen kurzen Blick auf Mikael, bevor er seine Tasche auf dem Tisch absetzte und darin herumwühlte. »Ich bin froh, das zu hören, Sir, wenn man bedenkt, welche Hektik im übrigen Schiff herrscht.«
Tahn grinste verständnisvoll. Er mußte noch ein paar letzte Vereinbarungen mit dem Hohen Ratsherrn auf Horeb treffen, der Baruch an die Magistraten »verkaufte«, aber es sah ganz so aus, als hätten sie es endlich geschafft, die Schreckensherrschaft des Untergrund-Führers zu beenden. Die Mannschaft war vor Begeisterung außer sich. In den Aufenthaltsräumen der Freiwache floß der Champagner in Strömen. Noch vor einem Jahr hätte Tahn zusammen mit der Crew gefeiert und das Siegesgefühl genossen.
Doch inzwischen wußte er nicht mehr, wofür er kämpfte. Er warf einen Blick zu Mikael hinüber. Das Kind saß zusammengekauert auf dem Bett. Seine Augen schauten so haßerfüllt, wie ein unschuldiger Gefangener den Henker ansehen mochte.
Wieder einmal nagten all die alten Zweifel an Tahn. Unruhig ging er auf und ab. Als er am Spiegel über dem Tisch vorbeikam, hielt er inne und betrachtete sein Abbild. Er sah so verstört aus wie ein Mann, der ins Kreuzfeuer geraten ist und nicht weiß, in welche Richtung er sich jetzt wenden soll. Beunruhigt richtete er den Blick auf den Boden. Im Lichtschein der Lampe bemerkte er zum ersten Mal die kleinen Häufchen aus Verbandsstoff, die überall auf dem Teppich verstreut waren, neben den Tischbeinen, unter den Stühlen und, Ameisenhaufen gleich, entlang der Wände. Er runzelte die Stirn und überlegte, welche Bedeutung sie haben mochten. An Bord gab es kein Spielzeug. Hatte Mikael sich ein eigenes Spiel ausgedacht?
Er wandte sich um und deutete auf den Verbandsstoff. »Was ist das, Mikael?«
Der Junge blinzelte. »Das sind Berge.«
»Und was geschieht in diesen Bergen?«
Mikael leckte sich furchtsam über die Lippen, als wollte er nicht antworten. Dann platzte es plötzlich wütend aus ihm heraus: »Menschen bringen sich gegenseitig um!«
Tahn preßte die Kiefer zusammen. Zweifellos drehte sich das Spiel des Jungen darum, magistratische Soldaten zu töten, um auf diese Weise Rache für die Zerstörung seiner Welt zu nehmen. Mit sanfter Stimme fragte er: »Hast du gesiegt?«
»Meine Seite siegt immer.«
»Gut. Wenn du irgendwann mal mit jemandem spielen willst, werde ich auf deiner Seite kämpfen.«
Iona drehte sich um und Tahn sah, wie Mikael erblaßte. Der Junge fuhr sich durch die schwarzen Locken und knetete nervös die Finger, während der Doktor eine Spritze mit Sedativ aufzog. Der Ausdruck auf Mikaels Gesicht erschütterte Tahn.
»Um Gottes willen, Iona. Er ist gerade erst sieben. Brauchen Sie wirklich so viel?«
Der Doktor richtete sich indigniert auf. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, er sollte für die nächsten zwölf Stunden schlafen, Captain. Oder irre ich mich?«
»Ist dafür so viel nötig?«
»Diese Dosis reicht für zwanzig Stunden. Ich glaube, er braucht die Ruhe, und uns verschafft es genug Zeit, um unsere Mission auf Horeb zu erfüllen und weit fort zu sein, bevor …«
»Das reicht jetzt, Doktor.« Tahn war sich bewußt, daß seine Worte scharf und schneidend wie Glas waren, doch Zorn und Schuldbewußtsein quälten ihn zu sehr, als daß er jetzt noch auf Höflichkeit geachtet hätte. Das letzte, was er sich wünschte, war, daß Mikael erfuhr, daß er abermals einen gamantischen Planeten zerstören würde.
»Entschuldigen Sie, Sir. Ich
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