Feuergipfel
1
Nevada Herbst 1868
»Ich habe gehört, Sie suchen einen Vorarbeiter, der mit ’nem Schießeisen umgehen kann.«
Die Stimme, die so unvermittelt aus der Dunkelheit ertönte, erschreckte Elyssa Sutton derart, daß sie zusammenzuckte. Sie hoffte nur, ihre Miene verriete nichts von der plötzlichen Furcht, die sie wie ein Blitzschlag durchfuhr.
Der Fremde war gleichsam aus dem Nichts aufgetaucht, ohne jede Vorwarnung und so lautlos wie ein Schatten.
Sie blickte zu dem Mann hinüber, der am Rande der Veranda stand. Er war kaum mehr als eine dunkle Silhouette knapp jenseits des goldenen Laternenlichts, das durch die Fenster des Ranchhauses strömte. Seine Augen unter der Krempe seines Hutes wirkten wie klare Kristalle, genauso bar jeglicher Emotionen wie sein Gesicht.
Verglichen mit den Augen dieses Mannes würde eher ein Schneesturm mitten im Winter ein Gefühl von Warme vermitteln, dachte Elyssa unbehaglich, während sie auf ihrer Unterlippe kaute.
Unmittelbar darauf schoß ihr ein anderer Gedanke durch den Kopf.
Dennoch hat er etwas Faszinierendes an sich, eine regelrecht gefährlich anmutende Ausstrahlung. Man könnte ihn fast attraktiv nennen.
Neben ihm würden andere Männer wie Schuljungen wirken.
Elyssa runzelte die Stirn. Bisher hatte sie Männern nie sonderlich viel Beachtung geschenkt. Sie waren für sie nichts weiter als verwöhnte, nichtsnutzige Söhne adliger Briten oder Seeleute; der Rest bestand aus Soldaten, Rancharbeitern, Cowboys, Köchen.
Oder Banditen!
In den Monaten, seit Elyssa gegen den Wunsch ihres Onkels wieder nach Amerika zurückgekehrt war, hatte sie die Bekanntschaft von mehr als nur einer Handvoll abtrünniger weißer Männer gemacht. Die Ladder S war eine abgelegene Ranch in den Ruby Mountains. Sie zog Gold- und Erzsucher an, spanische Schatzjäger, ganze Trecks hoffnungsvoller Siedler auf dem Weg nach Oregon - und die Revolverhelden, die sie allesamt ausraubten.
Die Culpeppers waren die schlimmsten von all dem üblen Gesindel, das sich in den Bergen herumtrieb.
Falls es überhaupt jemanden gibt, der sich gegen die Culpepper-Bande behaupten kann, dann dürfte es dieser Mann sein, dachte Elyssa mit einem Anflug von Ironie. Die Frage ist nur, wie wird man den Kerl wieder los, sobald er die Gegend von den Plagegeistern gesäubert hat?
»Miss Sutton?« fragte der Fremde mit dunkler, samtiger Stimme.
Während er sprach, trat er in den Schein des Laternenlichts, so als spürte er ihr Unbehagen darüber, ihn in der Dunkelheit nicht richtig sehen zu können.
»Ich überlege noch«, erwiderte sie.
Elyssa ließ das Schweigen anwachsen, während sie den Fremden unverblümt von Kopf bis Fuß musterte. Sie fragte sich, ob sie es wagen sollte, die Herausforderung anzunehmen, die er darstellte.
Der Gedanke bewirkte, daß ihr Mund plötzlich trocken wurde. Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zungenspitze und holte tief Luft. Dann konzentrierte sie sich auf den Fremden, der so unerwartet aus der Finsternis aufgetaucht war, und unterdrückte den leichtsinnigen Impuls, einen Schritt auf diesen gefährlichen Mann zu zu machen.
Eine dichte, glatte, dunkle Haarmähne fiel ihm bis auf den Kragen. Sein Gesicht sah sonnengebräunt aus, mit einigen feinen Blinzelfältchen in den Winkeln seiner scharfen Augen und einem gepflegten Schnurrbart über einem gutgeschnittenen, energischen Mund.
Seine schwarze Hose und die Jacke waren sauber und offensichtlich maßgeschneidert, sahen jedoch recht abgenutzt aus. Das gleiche galt für sein frisches, blaßgraues Hemd, das aber schon bessere Tage gesehen hatte. Bei dem knappen Sitz betonte es das maskuline »V« noch, das seine breiten, muskulösen Schultern und die schmale Taille bildeten. Ein ausgeblichenes, ehemals schwarzes Tuch hatte er locker um seinen Hals geknotet.
Hinter dem Fremden stampfte ein Pferd nervös mit den Hufen und schnaubte leise durch die Nüstern. Ohne den Blick von Elyssa abzuwenden, streckte der Fremde den Arm aus und streichelte den Hals des Tieres mit langsamen, beruhigenden Bewegungen seiner behandschuhten Hand.
Der linken Hand. Seine rechte - die ohne Handschuh war -blieb die ganze Zeit über in unmittelbarer Nähe des sechsschüssigen Revolvers, den er an seiner Hüfte trug. Wie seine Kleidung, so wirkte auch die Waffe des Fremden abgenutzt und gepflegt zugleich.
Und wie der Bursche selbst, so strahlte auch seine Waffe etwas aus, das auf harten, rücksichtslosen Einsatz schließen ließ.
Dennoch - trotz des stählernen
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