Die Gefährtin Des Lichts erbin2
diese schöne, lächerliche Stadt verließ, gewusst hätte, dass mein Leben so verlaufen würde, hätte ich es mir noch einmal überlegt. Aber ich hätte es wohl trotzdem getan.
Also der im Abfalleimer. Ich sollte Euch mehr über ihn erzählen.
Eines Abends war ich bis spät auf - oder bis früh -, weil ich an einem Gemälde gearbeitet hatte. Ich war hinter mein Haus gegangen, um die übriggebliebene Farbe loszuwerden, bevor sie eintrocknete und mir die Tiegel ruinierte. Das heißt, ich wollte die Unratsammler, die üblicherweise mit ihren stinkenden Karren im Morgengrauen kamen, nicht verpassen. Sie schafften den Inhalt der Abfalleimer weg und durchsuchten sie nach Faulschlamm und allem, was irgendwie von Wert sein konnte. Ich bemerkte nicht einmal, dass sich dort ein Mann befand, weil er wie der restliche Abfall roch. Er lag wie tot da. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, war er das wahrscheinlich auch.
Ich kippte die Farbe aus und wäre wieder hineingegangen, wenn ich nicht aus einem Augenwinkel heraus ein seltsames Leuchten bemerkt hätte. Eigentlich war ich so müde, dass ich es gar nicht hätte beachten sollen. Nach zehn Jahren in Schatten hatte ich mich an die Hinterlassenschaften von Gottkindern gewöhnt. Höchstwahrscheinlich hatte sich dort eins nach durchzechter Nacht erbrochen, oder sich inmitten dieser Ausdünstungen bei einem Stelldichein verausgabt. Die neuen machten das gerne: Für ungefähr eine Woche spielten sie Sterbliche, bevor sie das Leben aufnahmen, das sie unter uns zu leben gedachten. Die Einführung war grundsätzlich mit Chaos verbunden.
Deshalb weiß ich auch nicht, warum ich an diesem kalten Wintermorgen zögerte. Ein Instinkt sagte mir, ich solle meinen Kopf drehen. Ich weiß nicht, warum ich darauf hörte, aber ich tat es. Das war der Zeitpunkt, an dem ich sah, wie Herrlichkeit in einem Haufen Unrat erwachte.
Zunächst sah ich nur zarte goldene Linien, die die Gestalt eines Mannes zeichneten. Tautropfen schimmernden Silbers perlten über sein Fleisch, liefen als kleine Rinnsale an ihm herab und erhellten die weichen Konturen der Hautstruktur. Ich sah, wie einige dieser Rinnsale das Unmögliche taten und aufwärtsliefen. Dort entzündeten sie Fäden seines Haars und die eingemeißelten Linien seines Gesichts.
Ich stand da, meine Hände waren feucht von der Farbe, die offene Haustür hinter mir war vergessen, und ich sah, wie dieser leuchtende Mann einmal tief einatmete. Dadurch schimmerte er noch schöner. Dann öffnete er seine Augen, deren Farbe ich niemals wirklich werde beschreiben können; auch nicht, wenn ich eines Tages die Worte dafür lernen sollte. Ich kann sie bestenfalls mit Dingen, die ich kenne, vergleichen: der schweren Dichte roten Goldes, dem Geruch von Bronze an einem heißen Tag, Begehren und Stolz.
Ich war völlig fasziniert von diesen Augen, aber ich bemerkte auch etwas anderes: Schmerz. Da war so viel Traurigkeit, so viel Trauer, Wut, Schuldgefühl und andere Emotionen. Ich war nicht in der Lage, sie näher zu bezeichnen, denn letzten Endes hatte ich bisher ein relativ glückliches Leben geführt. Es gibt gewisse Dinge, die man nur durch Erfahrung verstehen lernt, und es gibt einige Erfahrungen, die niemand teilen möchte.
Hmm. Vielleicht sollte ich Euch etwas über mich erzählen, bevor ich fortfahre.
Wie ich bereits sagte, bin ich eine Art Künstlerin. Ich verdiene, oder besser verdiente meinen Lebensunterhalt damit, kleine Kunstwerke und Andenken an Auswärtige zu verkaufen. Außerdem male ich, obwohl meine Gemälde nicht für die Augen anderer bestimmt sind. Darüber hinaus bin ich nichts Besonderes. Ich sehe Magie und Götter, aber das kann jeder; ich sagte ja, dass sie überall sind. Wahrscheinlich nehme ich sie nur häufiger wahr, weil ich nichts anderes sehen kann.
Meine Eltern nannten mich Oree. Wie den Ruf des südöstlichen Tränenvogels — habt Ihr ihn schon einmal gehört? Er scheint zu schluchzen, wenn er ruft: oree, Luftschnappen, oree, Luftschnappen. Die meisten Mädchen in Maroneh werden nach solch traurigen Dingen benannt. Es könnte schlimmer sein — die Jungs bekommen ihre Namen aus Rache. Deprimierend, nicht wahr? Das sind die Gründe, warum ich fortgegangen bin.
Allerdings habe ich auch nie die Worte meiner Mutter vergessen: Es ist keine Schande, Hilfe zu benötigen. Es gibt für jeden von uns Dinge, die wir nicht alleine bewältigen können.
Also, der Mann im Abfall? Ich nahm ihn mit zu mir, säuberte ihn und setzte ihm ein
Weitere Kostenlose Bücher