Die Gefährtin des Vaganten
Prolog
»Nachdem die Unsrigen die Heiden endlich zu Boden geschlagen hatten, durcheilten die Kreuzfahrer die ganze Stadt und rafften Gold und Silber. Dann, glücklich und vor Freude weinend, gingen die Unsrigen hin, um das Grab unseres Erlösers zu verehren, und entledigten sich Ihm gegenüber ihrer Dankesschuld.«
Chronist über die Eroberung Jerusalems
1253, Al Mansura
Es war staubig, es war heiß, der Sand – wahrscheinlich auch die Flöhe – verursachte ihnen ständigen Juckreiz unter den Kettenhemden. Aber trotzdem waren die drei jungen Kreuzritter guter Laune. Die Palästinafahrt, zu der König Ludwig von Frankreich aufgerufen hatte, hatten sie überlebt, wenngleich das Heer etliche Schlappen hatte einstecken müssen. Nun aber hielten sie sich im Gefolge des Königs auf, der nun Verhandlungen mit den Sarazenen führte, um die Gefangenen freizubekommen.
Otto von Hürth, Konstantin von Hane und Martin von Iddelsfeld nutzten die Gelegenheit, um sich auf den Bazaren umzusehen. Sie hatten in den vergangenen Jahren genügend Wörter der fremden Sprache aufgeschnappt, vor allem die für Zahlen, um mit den Händlern in einem Kauderwelsch von Französisch, Deutsch und Arabisch zu feilschen.
Und die Händler, denen vornehmlich an ihrem Geschäft und nicht an Glaubenskriegen gelegen war, verstanden ausreichend von diesem Kauderwelsch, um die Kunden aus jedem fernen Land übers Ohr zu hauen.
Gegenseitig fand man Gefallen an den Transaktionen, und so wurde an einem heißen, trockenen Sommertag den drei Recken ein unwiderstehliches Angebot unterbreitet.
Neugierig folgten Otto, Konstantin und Martin dem bärtigen Händler in eine der vielen Katakomben. Hier enthüllte der Mann mit großem Getue eine hölzerne Kiste und faselte etwas von einer für die christlichen Käufer sicher unschätzbaren Reliquie.
»Mumia«, flüsterte Otto seinen Gefährten zu. »Dafür zahlen die Apotheker gutes Geld.«
Martin kratzte sich am Hals und zerdrückte einen Floh.
»Was will der dafür haben?«
»Mehr als dieser vertrocknete Kadaver wert ist.«
Sie musterten das in bräunliche Binden gewickelte Objekt, das an verschiedenen Stellen dunkle braune Flecken aufwies. An den Füßen, den über der Brust gekreuzten Händen, an der Stirn.
»Er behauptet, das sei der Märtyrer Timon, der für seinen Glauben am Kreuz starb. Ziemlich wirre Geschichte, wenn ihr mich fragt.«
»Ich kenne keinen heiligen Timon«, schnaubte Konstantin verächtlich.
Der in Deutsch geführten Unterhaltung schien der Händler nicht folgen zu können, wohl aber bemerkte er die Zweifel der Ritter und holte zu einer langen, blumig ausgeschmückten Rede über Herkunft und Schicksal des Einbalsamierten aus.
Langeweile war das größte Übel, mit dem die Kreuzritter zu kämpfen hatten, und daher amüsierte sie der wortreiche Vortrag über das abenteuerliche Leben des angeblichen Heiligen.
»Er verdient als Geschichtenerzähler sein gutes Geld«, murmelte Otto.
»Mhm«, sagte Martin. »Mhm. Die Geschichte bringt mich auf Ideen.«
»Dich auch?« Konstantins Augen begannen zu funkeln.
»Mhm«, sagte auch Otto. »Mit Mumien machen nicht nur Apotheker ihr Geld.«
»Wir wollen handeln«, verkündete Konstantin, und der Händler sah beglückt zu ihnen hin.
Einige Wochen später begleiteten drei ernste, junge Kreuzritter eine kostbar geschnitzte Kiste mit einer schier unbezahlbaren Reliquie zurück in ihre Heimat, in die Stadt, die berühmt für ihre Kirchen und die heiligen Gebeine war – nach Köln.
1. Die Bischofsmütze
Hier sollst du wissen, dass viele Päpste
Ketzer und auf andere Weise böse waren
und dass sie die Papstwürde verloren;
und hierüber wäre viel zu schreiben.
Zweifle also nicht, dass der Papst
ein Ämterkäufer sein kann.
Jan Hus
Konstanz, März 1415
Der Bischof von Speyer eilte durch die dunklen Straßen von Konstanz. Er hatte eine Verabredung mit einer Hure.
Allerdings nicht mit solch unlauteren Absichten, wie sie viele seiner Standesgenossen hegten. Das Konzil hatte Geistliche, Machthaber und ihre Vasallen aus aller Welt in die Stadt am Bodensee gelockt, und ihrem Tross folgte allerlei Gesindel, das seine Dienste anbot.
Warum auch nicht – lebte ihnen Papst Johannes nicht vor, wie man sich weltlichen Lustbarkeiten widmete?
Der Bischof allerdings war nicht zu seinem Vergnügen in Konstanz, und sein Treffen mit dem Weib hatte ganz andere Gründe.
Finster war es hier in den Seitenstraßen, und mehr als einmal
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