Love
I LISEY UND AMANDA
(Alles beim Alten)
1 Für die Öffentlichkeit sind die Ehefrauen berühmter Schriftsteller praktisch unsichtbar, und niemand wusste das besser als Lisey Landon. Ihr Mann hatte den Pulitzerpreis und den National Book Award gewonnen, aber Lisey hatte in ihrem Leben nur ein einziges Interview gegeben: für die bekannte Frauenzeitschrift, in der die Artikelserie »Ja, ich bin mit ihm verheiratet!« erscheint. Sie hatte ungefähr die Hälfte des fünfzig Zeilen langen Interviews auf die Erklärung ver wendet, dass ihr Kosename sich auf »CeeCee« reimte. Der größte Teil der anderen Hälfte hatte mit ihrem Rezept für langsam gebratenes Roastbeef zu tun gehabt. Liseys Schwes ter Amanda sagte, das zu dem Interview gehörende Foto lasse Lisey dick aussehen.
Keine von Liseys Schwestern war über das Vergnügen erhaben, Aufregung zu provozieren (»Stunk zu machen«, wie ihr Vater sich immer ausgedrückt hatte) oder die schmutzige Wäsche anderer Leute durchzuhecheln, aber die Einzige, bei der es Lisey schwerfiel, sie zu mögen, war ebendiese Amanda. Amanda, die älteste (und sonderbarste) der ehemaligen Debusher-Girls aus Lisbon Falls, lebte gegenwärtig allein in einem Haus, das Lisey ihr zur Verfügung gestellt hatte: ein wetterfestes Häuschen nicht allzu weit vom Castle View entfernt, sodass Lisey, Darla und Cantata sie im Auge behalten konnten. Lisey hatte es ihr vor sieben Jahren gekauft, fünf bevor Scott gestorben war. Jung gestorben war. Vorzeitig abberufen worden war, wie man so schön sagte. Lisey konnte noch immer nicht recht glauben, dass er seit zwei Jahren nicht mehr da war. Es erschien ihr länger her zu sein und zugleich nur einen Wimpernschlag.
Als Lisey endlich dazu kam, sich daranzumachen, sein Büro auszuräumen – eine Flucht großer und schön beleuch teter Räume, die ursprünglich nur der Heuboden über einer Scheune gewesen waren –, war Amanda am dritten Tag auf gekreuzt, nachdem Lisey bereits mit der Bestandsaufnahme der ausländischen Ausgaben (von denen es Hunderte gab) fertig war, aber sonst noch nicht mehr hatte tun können, als eine Liste der Möbel zu erstellen, auf der Sternchen jene Stü cke bezeichneten, von denen sie glaubte, sie behalten zu sol len. Sie wartete darauf, dass Amanda sie fragte, wieso sie um Himmels willen nicht schneller arbeite, aber Amanda stellte keine Fragen. Während Lisey von der Möbelfrage zu einer lustlosen (und ganztägigen) Betrachtung der in dem größten Schrank gestapelten Pappkartons mit alter Korrespondenz überging, schien Amandas gesamte Aufmerksamkeit weiter den eindrucksvollen Haufen und Stapeln von Memorabilien zu gelten, die auf ganzer Länge an der Südwand des Arbeits zimmers aufgetürmt waren. Sie tigerte vor dieser schlangen artigen Ansammlung auf und ab, sagte wenig oder nichts, schrieb aber häufig rasch etwas in ein kleines Notizbuch, das sie stets zur Hand hatte.
Lisey sagte nicht Was suchst du? oder Was notierst du dir da? Wie Scott mehr als einmal festgestellt hatte, besaß Lisey etwas, was bestimmt zu den seltensten menschlichen Gaben gehörte: Obwohl sie jemand war, der sich um den eigenen Kram kümmerte, störte es sie nicht, wenn man sich um anderer Leute Kram kümmerte. Das heißt, solange man keine Sprengsätze herstellte, um jemanden damit zu bewerfen, und in Amandas Fall waren Sprengsätze immer im Bereich des Möglichen. Sie war die Art Frau, die herumschnüffeln muss te, die Art Frau, die früher oder später den Mund aufmachen würde .
Ihr Ehemann war 1985 von Rumford aus, wo sie gelebt hatten (»wie zwei in einem Abwasserrohr festsitzende Viel fraße«, hatte Scott nach einem Nachmittagsbesuch gesagt, den er nie zu wiederholen geschworen hatte), nach Süden ab gehauen. Ihr einziges Kind, eine Tochter namens Intermezzo, kurz Metzie gerufen, war 1989 (mit einem Fernfahrer als Lieb haber) nach Kanada gegangen. »Eine flog nach Norden, eine nach Süden übers Land, eine konnt’ nicht halten ihren Läster rand.« Das war in ihrer Kindheit ein Holperreim ihres Vaters gewesen, und diejenige von Dandy Dave Debushers Mäd chen, die niemals ihren Lästerrand halten konnte, war be stimmt Manda, die erst von ihrem Mann sitzen gelassen und dann von ihrer Tochter verschmäht worden war.
Auch wenn es manchmal schwierig war, Amanda zu mö gen, hatte Lisey nicht gewollt, dass sie allein dort unten in Rumford lebte, und obwohl sie sich nie darüber geäußert hat ten, war Lisey sich sicher, dass Darla und Cantata das
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