Die Gefahr
PROLOG
Mitch Rapp blickte durch das Einwegfenster in den feuchten Kellerraum. Ein Mann, der nichts am Leib trug als eine Unterhose, saß auf einem unbequem aussehenden Stuhl, an den er mit Handschellen gefesselt war. Eine einfache Glühbirne hing von der Decke herab und baumelte ungefähr einen halben Meter über ihm hin und her. Um nicht in das grelle Licht blicken zu müssen, aber auch aus schierer Erschöpfung ließ der Mann den Kopf hängen, und sein Kinn ruhte auf der Brust. Er war nahe daran, das Gleichgewicht zu verlieren und vom Stuhl zu kippen – und genau das hatten sie auch beabsichtigt.
Rapp sah auf seine Uhr. Die Zeit wurde knapp, und er verlor langsam die Geduld. Er hätte grundsätzlich nichts dagegen gehabt, diesen widerwärtigen Kerl einfach zu erschießen, aber leider brauchten sie ihn noch. Rapp musste bestimmte Dinge aus ihm herausholen. Irgendwann redete jeder, wenn man ihn lange genug bearbeitete – doch das Problem war, die Burschen dazu zu bringen, dass sie einem die Wahrheit erzählten. Der Kerl hier war da keine Ausnahme; er blieb immer noch bei seiner Geschichte, doch Rapp wusste, dass sie erstunken und erlogen war.
Der Antiterror-Spezialist der CIA kam nur sehr ungern hierher. Er bekam immer eine Gänsehaut, wenn er sich dem Gebäude nur näherte, das stark an eine psychiatrische Klinik erinnerte, obwohl es hier keine vergitterten Fenster und keine bulligen, weiß gekleideten Pfleger gab. Der Zweck dieser kargen Räumlichkeiten war es, dem menschlichen Geist keinerlei Reize zu bieten. Das Haus war so geheim, dass es nicht einmal einen Namen hatte. Die paar Leute, die von seiner Existenz wussten, nannten es nur die Facility.
Es war keine offizielle Einrichtung und kam nicht einmal in dem Geheimbudget vor, das jedes Jahr dem Kongress vorgelegt wurde. Die Facility war ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg. Sie lag in der Nähe von Leesburg, Virginia, und unterschied sich in nichts von den Pferdefarmen, die es in der Gegend haufenweise gab. Die CIA hatte die Farm, die von fünfundzwanzig Hektar wunderschön gelegenem Land umgeben war, in den frühen fünfziger Jahren gekauft – zu einer Zeit, als die Agency noch einen viel größeren Handlungsspielraum hatte als heute.
An diesem Ort wurden einst Überläufer aus dem Ostblock verhört, aber auch CIA-Leute, die dem notorisch paranoiden James Angleton ins Netz gingen, der in der intensivsten Phase des Kalten Krieges damit betraut war, Spione zu enttarnen. In diesen Räumlichkeiten wurden sehr unangenehme Dinge mit Menschen angestellt. Hierher hätte die Agency wahrscheinlich den CIA-Mann Aldrich Arnes gebracht, wenn sie ihn vor dem FBI geschnappt hätte. Die Leute, die für die Wahrung von Langleys Geheimnissen zuständig waren, hätten viel dafür gegeben, wenn sie dem verräterischen Bastard die Daumenschrauben hätten anlegen können – doch sie bekamen leider nicht die Gelegenheit dazu.
Die Facility war keine erfreuliche Einrichtung, doch sie war ein notwendiges Übel in einer Welt voll von Grausamkeit und blindem, rücksichtslosem Fanatismus. Rapp war sich dieser Tatsache durchaus bewusst, doch das hieß noch lange nicht, dass ihm diese Einrichtung sympathisch war. Dabei war er selbst alles andere als zimperlich. Rapp hatte mehr Menschen getötet als er zählen konnte, und war dabei sehr einfallsreich vorgegangen, was seine hervorragenden Fähigkeiten nur bestätigte.
Er war im Grunde ein Killer, wenngleich man das in dem zivilisierten Land, in dem er lebte, nicht offen aussprach. In einer demokratischen Gesellschaftsordnung, in der die Rechte und die Freiheit des Einzelnen hochgehalten wurden, würde man es niemals dulden, dass ein Bürger des eigenen Landes ganz gezielt dafür ausgebildet wurde, Bürger von anderen Ländern zu töten. Doch genau das tat Rapp. Er war ein Killer, der offiziell als Antiterror-Spezialist bezeichnet wurde, um die kultivierten Leute, die in Washington an den Schalthebeln der Macht saßen, nicht zu brüskieren.
Wenn diese Leute von der Existenz der Facility gewusst hätten, so wären sie dermaßen empört gewesen, dass sie alles getan hätten, um die CIA teilweise oder ganz zu zerschlagen. Diese Leute, die Amerikas kapitalistische Macht so sehr hassten, gingen davon aus, dass wir irgendetwas verbrochen haben mussten, um einen solchen Hass von Seiten der Terroristen auf uns zu ziehen. Dabei merkten sie nicht, dass sie mit der gleichen Logik argumentierten, mit der manche Anwälte Vergewaltiger
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