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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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lächelnd, »war eine endemische Galapagos-Reisratte. Sie hat einen unfehlbaren Sinn dafür, im richtigen Moment einzugreifen.«
    »Ich wollte dich nur etwas fragen«, knurrte Casaflora.
    »Ja?«
    »Weshalb bist du hier? Erzähl mir nicht, du bist zufällig von einem Schiff gefallen und hast dich vor dem Bug der Mariposa wiedergefunden.«
    Marit unterdrückte ein Lachen. »Und wenn ich Ihnen sage, dass es genau so war?«
    »Das kannst du deinem kleinen Freund erzählen.«
    »Er ist nicht mein Freund.«
    »Nicht?«, fragte Casaflora.
    »Er ist mein Bruder«, sagte Marit.
    »Dein Bruder?« Sie sah ihn im Dunkeln den Kopf schütteln. »Du erzählst nur Unsinn.«
    Marit seufzte. »Unsinn ist manchmal ganz hilfreich«, sagte sie. »Aber bitte. In Wahrheit ist ein alter Professor daran schuld, dass ich hier bin. Ein Professor für Zoologie, den ich nie gesehen habe. Blumenhaus. Meine Mutter hat bei ihm studiert, ehe sie mich bekam. Blumenhaus war auf den Inseln gewesen. Er hat seinen Studenten damals so viel davon erzählt, dass meine Mutter anfing, sich selbst dorthin zu wünschen. Professor Blumenhaus wollte auch wieder zurück, hat sie gesagt. Er war einem seltenen Schmetterling auf der Spur, den es vielleicht nur auf den Galapagosinseln gibt.«
    Casaflora lachte trocken. »Muss lange her sein«, sagte er. »Als sich die Leute noch Gedanken über Schmetterlinge machten.«
    »Ja«, sagte Marit leise. »Es ist wohl lange her.« Sie sprach noch immer spanisch. Sie wusste nicht, ob José zuhörte. Und überhaupt wollte sie auch gar nicht deutsch sprechen. Am besten nie wieder, bis zu ihrem Tod. Der Tod war natürlich durch und durch deutsch, mit ihm würde sie nicht spanisch sprechen. Aber sie hatte nicht vor, ihm so rasch zu begegnen. Nicht mehr. »Der Professor … er ist irgendwann aus der Stadt verschwunden«, fuhr sie fort. »Und meine Mutter stellte sich gern vor, er wäre wirklich zurückgekehrt zu den Inseln. Er war ihr einziges Vorbild. Das ist doch seltsam, nicht wahr, wo er ein Mann war und viel älter? Sie hätte so gern zu Ende studiert. Sie wäre so gern auch ein Forscher geworden. Sie wollte zu den Inseln fahren und den Schmetterling finden, zusammen mit dem Professor. Es war ein Traum. Sie hatte so viele Träume …« Ihre Stimme verlor sich in der Dunkelheit.
    »Wo ist sie jetzt?«, fragte Casaflora leise.
    »Tot«, antwortete Marit. »Sie sind alle tot. Alle, die ich in Deutschland kannte.« Sie flüsterte jetzt, damit José sie unter Deck nicht hörte. »Sie sind Deutscher. Warum sind Sie nicht tot?« Es war ein eindeutiger Vorwurf. Er lachte nicht darüber.
    »Weil ich hier bin«, erwiderte er ernst. »Genau wie du.«
    Marit streichelte den Albatros, der seinen großen weißen Kopf auf ihr Knie gebettet hatte. »Hier ist niemand tot. Hier sind alle lebendig. All die Tiere. So wie Kurt.«
    »Warum heißt er eigentlich Kurt?«
    »Kurt war der Name meines Vaters. Er ist auch geflogen. Sie haben gesagt, man habe seine Maschine bei der Landung abgeschossen. Albatrosse haben manchmal auch Unfälle beim Landen …«
    Casaflora schwieg. Er schwieg so lange, dass die Nacht zu schwer für Marits Augenlider wurde.
    »Ich kannte einmal ein junges Mädchen, das einen Kurt heiratete«, sagte Casaflora. »Und aufhörte zu studieren. Damals in …«, er lächelte auf einmal, doch es war ein trauriges Lächeln, »… London.« Aber das hörte Marit schon nicht mehr, denn sie war eingeschlafen.
    Und erst später, viel, viel später, übersetzte sie seinen Namen ins Deutsche.
    José wachte gegen Morgen auf und spürte sofort, dass er allein in der Kajüte lag. Casaflora hätte auf der zweiten Bank liegen sollen. Marit saß draußen am Steuer. Er packte die Mauser und öffnete leise die Tür der Kajüte.
    Im grauen, verschlafenen Morgenlicht saß Casaflora am Steuer.
    Er hatte ihn noch nicht bemerkt. Er war über eine Gestalt gebeugt, die auf der anderen Bank lag, schlafend. Hilflos. In ihrem Arm lag Kurt der Albatros, der ebenfalls schlief. Casaflora knöpfte seine Jacke auf und zog sie aus. José packte sein Gewehr fester. Da sah er, wie Casaflora die Jacke behutsam über Marit legte: eine Decke gegen die Kälte des zu jungen Morgens. Er blickte auf und nickte José zu. Sein Gesicht sah aus, als wären in Minuten Jahrzehnte daran vorbeigestrichen. Er war nichts als ein müder alter Mann.
    »Sie ist tot«, sagte er.
    »Was? Wer?«, fragte José alarmiert.
    »Ihre Mutter«, sagte Casaflora. »Sie war so jung und sie wollte

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