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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Dornenäste der Pflanzen hindurch. Er besaß die gleichen hellen Augenbrauen wie Marit, das gleiche helle Haar. Und als wollte er die letzten Zweifel fortwischen, legte er die Hände an den Mund und rief laut seinen Namen. »Ich bin es, Waterweg!« Erst auf Spanisch, danach auf Englisch, und schließlich in einer Sprache, die Deutsch sein musste. Er rief noch mehr auf Deutsch – Worte, die José nicht verstand. Worte, die dazu führten, dass Casaflora aufstand.
    »Ich bin hier«, sagte er.
    Waterweg bahnte sich einen Weg durch die Dornen. »Was ist das für ein Versteckspiel?«, fragte er und streckte seine Hand aus. Casaflora nahm sie nicht. Und als Waterweg noch etwas auf Deutsch hinzufügte, antwortete er auf Spanisch.
    »Sie wollen die Karte haben. Verzeihen Sie meine Sprache. Ich habe mich zu sehr daran gewöhnt. Das Deutsche kommt mir nicht mehr über die Zunge. Bin schon zu lange hier auf den Inseln.«
    Waterweg lachte. »Und ein Glück, sonst hätte die deutsche Regierung niemanden gehabt, dem sie einen so delikaten Auftrag hätte geben können. Sie … haben die Karte?«
    Casaflora nickte. »Ich habe sie gezeichnet. Es sind alle Informationen darauf vermerkt, die man von mir haben wollte. Aber … ich besitze sie nicht mehr.«
    José schluckte. Er hatte es also bemerkt.
    »Sie … besitzen sie nicht mehr?« Waterwegs Stimme wurde kalt. In seiner Hand glänzte plötzlich etwas Schwarzes. Eine Pistole vom gleichen Fabrikat wie die von Casaflora. Die jetzt in Marits Tasche steckte. Aber wo steckte Marit?
    Waterweg richtete die Pistole nicht auf Casaflora. Er behielt sie lediglich in der Hand, damit der andere sah, dass es sie gab.
    »Es war vereinbart«, sagte er, »dass wir uns auf Isabela treffen, damit Sie mir die Karte aushändigen können. Sie sind nicht erschienen. Dann fahre ich nach Baltra – was eigentlich ein untragbares Risiko ist –, und man sagt mir, Sie wären nicht mehr am Leben. Als Nächstes höre ich, Ihr Schiff wäre allein davongesegelt, in Richtung Bartolomé, und ich hole Sie sogar ein. Sie segeln nach Isabela. Gut, denke ich, besser jetzt als nie … Aber dann, mitten im Sturm, ändern Sie Ihren Kurs, was ich erst zu spät merke. Und jetzt sagen Sie mir, Sie hätten die Karte nicht mehr. Was ist hier los? Gewisse Leute in Deutschland warten auf diese Karte und das wissen Sie!«
    »Sie wurde … gestohlen«, antwortete Casaflora ausweichend.
    »Gestohlen?« Waterweg klang jetzt alarmierter als zuvor. »Von wem?«
    Casaflora seufzte. »Von einem, der sie wahrscheinlich inzwischen vernichtet hat«, sagte er. Er sagte es sehr laut und deutlich und er sprach nach wie vor spanisch. »Oder auch nicht … Aber sicher wäre es klüger von ihm gewesen, sie zu vernichten.«
    Da begann José zu begreifen. Casaflora wusste, dass er da war, ganz nah. Er wusste, dass José die Karte hatte. Warum hatte José das verdammte Ding nicht vernichtet? Die Wahrheit war, dass er sie über Marits Verschwinden völlig vergessen hatte. Sie steckte noch immer sorgsam gefaltet in seiner hinteren Hosentasche. Verdammt!
    »Und wenn er die Karte nicht vernichtet hat, wohin bringt er sie?«, zischte Waterweg. »Wer ist es, der sie gestohlen hat?«
    »Nur ein kleiner Junge«, sagte Casaflora. »Ein kleiner Junge, der ein Held sein will. Die Geschichte ist zu lang, um sie hier zu erzählen …«
    Waterweg trat einen Schritt näher und jetzt hielt er die Pistole direkt vor Casaflora Gesicht.
    »Wo ist er?«
    »Hier … auf der Insel«, antwortete Casaflora. »Glaube ich. Aber er ist schlau und schnell, er kennt die Bedingungen der Inseln, er ist von hier, und … sehen Sie sich vor, wenn Sie ihn suchen.« José hörte ein Lächeln in seiner Stimme. »Er schleppt eine Mauser mit sich herum, zum Jagen. Sicher würde er nicht zögern, notfalls auf einen Menschen zu schießen.«
    José kroch langsam rückwärts. Die Mauser über seiner Schulter war hinderlich beim Kriechen. Seine Gedanken überschlugen sich. Er musste hier weg. Er musste die Karte loswerden. Casaflora hatte extra spanisch gesprochen, um ihn zu warnen. Und Casaflora hatte in der Nacht zuvor vielleicht nicht einmal geschlafen. Er hatte nur so getan. Er hatte still gelegen, die Augen vielleicht nicht ganz geschlossen, und hatte darauf gewartet, dass José abdrückte.
    Er hatte sich nicht gerührt, um sich zu wehren.
    Etwas war geschehen in diesem knurrigen alten Mann, etwas, das José nicht verstand. Er verstand nur, dass er sich aus dem Staub machen musste,

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