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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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seinem Schädel gab es nur noch diese beiden Gedanken: Wasser und Marit, Marit und Wasser, Wasser und … Es raschelte neben ihm, ein Leguan floh vor etwas, vor jemandem, ungewöhnlich eilig, und José hörte den Atem eines anderen Menschen, ganz nah.
    »Marit?«, flüsterte er.
    »Nein«, sagte der andere, und José wurde so rasch gepackt, dass er keine Zeit hatte zu reagieren. Oder womöglich war es das Kopfweh, das ihn langsamer machte als sonst. Die Mauser landete auf dem Boden, ein Arm nahm ihn in den Schwitzkasten. Er schaffte es, den Kopf ein wenig zu drehen, und blickte in ein Gesicht mit kaum sichtbaren Augenbrauen und weißblondem Haar. Zwei blaue Augen sahen ihn an, hell wie die von Marit. Aber dieses Blau war vor langer Zeit zu Eis gefroren.
    »Wo ist sie?«, fragte Waterweg.
    Unerreichbar, dachte José. In seinem Kopf entstand ein Bild der Karte, die um den Stein gewickelt zwischen den Schwefeldämpfen und den Lavafontänen im Krater lag. Waterweg verengte seinen Griff um Josés Hals und er spürte die Mündung einer Pistole unter seinem Kinn.
    »Du weißt vielleicht nicht, wer ich bin«, sagte der Mann. »Sie ist meine Nichte. Und du trägst ihre Mütze. Was hast du mit ihr gemacht?«
    Da verstand José. Er sprach nicht von der Karte. Er sprach von Marit. Er wand sich in Waterwegs Griff.
    »Gar nichts«, zischte er, und sein Ärger war größer als seine Angst. Wie konnte dieser Fremde denken, er hätte Marit etwas getan! »Sie … sie ist verschwunden! Aber wenn ich wüsste, wo sie ist, würde ich es Ihnen nicht sagen.«
    »Wenn du ihr etwas getan hast …«, knurrte Waterweg.
    »Ich habe sie aus dem Wasser gezogen!«, rief José. »Ich habe ihr das Leben gerettet, verflucht! Besser gesagt: Ich habe einem Jonathan Smith das Leben gerettet.«
    »Und dann hat sich der Jonathan Smith in ein hübsches kleines Mädchen verwandelt, wie?«, sagte Waterweg. »Wie praktisch für dich.«
    Er stieß José mit einer plötzlichen Bewegung zu Boden. Die Mündung der Pistole lag noch immer an Josés Hals.
    »Ich habe noch nie auf ein Kind geschossen«, sagte Waterweg leise. »Aber wenn du Marit etwas getan hast, bist du kein Kind mehr. Wie alt bist du?«
    »Alt genug, um zu sterben«, sagte José stolz.
    Zur selben Zeit ging Marit am Strand auf und ab und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Wo war die Mariposa? Wo waren die erloschenen Feuerstellen? Selbst die Seelöwen waren verschwunden. War sie in eine Art unerklärliches Zeitloch gefallen? Sie setzte sich in den Sand und sah aufs Meer hinaus. Neben ihr saß der rot-schwarze Leguan. Carmen war auf seinen Kopf geklettert.
    »Uwe«, sagte Marit zu dem Leguan. »Du heißt Uwe. Verzeih mir, aber du siehst einfach so aus.«
    Carmen spazierte zwischen Uwes Zacken entlang, an seinem Rücken hinunter, balancierte auf ihren winzigen Pfötchen über seinen langen schuppigen Schweif und sprang auf den Boden. Dann begann sie durch den Sand davonzulaufen – ein mühsames Unterfangen, denn der Sand war fein und trocken und sie sackte immer wieder bis zum Bauch darin ein. Aber sie schien entschlossen.
    »Hör mal, Uwe«, sagte Marit und stand auf. »Ich denke, wir sollten ihr folgen. Carmen weiß manchmal … Dinge.«
    Sie hob die Ratte hoch, setzte sie auf ihre Schulter und wanderte ein Stück in die Richtung, in die Carmen gegangen war. Dann drehte sie sich um. Uwe folgte ihr tatsächlich. Und als Marit das Stück Küste jetzt noch einmal betrachtete, dämmerte ihr etwas. Es war nicht das richtige Stück Küste. Die Bucht sah zwar ähnlich aus, doch es war nicht dieselbe. Sie war auf der verkehrten Seite des Vulkans hinuntergegangen.
    »Idiotin, ich!«, rief sie und lachte erleichtert. »Es wird alles noch da sein, wenn ich ankomme: José und die Mariposa und der Rest unseres Zoos. Ich muss nur ein Stück um die Insel herumwandern.«
    Es dauerte, um die Insel herumzuwandern. Marit wanderte und wanderte, sie wanderte unten am Wasser entlang, wo der Sand härter war, doch hier gab es keinen Schatten und ihr Durst wuchs ins Unermessliche.
    »Wie machst du das, Uwe?«, fragte sie. »Trinkst du überhaupt je etwas?«
    Bei jeder Bucht, in die sie kamen, dachte Marit: Hier! Hier muss die Mariposa liegen! Und jede Bucht war eine leere Bucht. Der Tag wurde zum Abend, die Sonne begann zu sinken, und endlich sah sie den goldenen Fleck auf dem Wasser. Das Honigboot.
    Aber jetzt lag ein zweites Boot in der Bucht, ein Boot mit einem geflickten Mast. Marit merkte, wie ihr Herz

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