Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
nach dem sie die Hand ausgestreckt hatte, sich nach Marit um. Seine kleinen Augen fixierten sie mit großer Entschlossenheit.
    »Komm!«, schien es zu sagen. »Komm, komm! Hier ist kein guter Ort zum Bleiben!«
    »Du hast recht«, sagte Marit und folgte dem Leguan den Berg hinunter. »José fragt sich sicher schon, wo ich bin.« Sie merkte jetzt, wie trocken ihr Mund und wie groß ihr Durst war. In Josés Kanister gab es noch einen Rest Wasser.
    Sie beeilte sich, dem Leguan zu folgen. Die Dornbüsche schienen nach ihr zu greifen und sie festhalten zu wollen, sie rissen an ihrer Hose und ihrem Hemd, und stellenweise waren sie hoch genug, um ihre Wangen zu zerkratzen.
    Als Marit endlich in der Ferne den Strand sah, atmete sie auf. Die Leguane hatten sie verlassen – bis auf einen, der immer noch neben ihr herrannte.
    »Hey, du«, sagte sie. »Hast du dich etwa auch entschieden, bei mir zu bleiben? Wenn José dich sieht, bekommt er einen Anfall. Schleppst du schon wieder ein neues Tier an?, wird er sagen. Aber mach dir keine Sorgen. Er tut immer so hart, aber eigentlich ist er …«
    Sie verstummte, und der Leguan erfuhr nie, was José eigentlich war. Sie hatten den Strand erreicht. Doch da war kein José. Keine alte Feuerstelle. Keine Mariposa, die draußen vor Anker lag. Kein Casaflora, der mit einer Schiffsschraube kämpfte. Da war gar nichts.
    Es gab nicht einmal Spuren im weißen Sand. Es war, als wäre nie jemand hier gewesen.
    Der Leguan war ins flache Wasser gelaufen, tauchte jetzt wieder auf und sprühte eine winzige Wasserfontäne aus seinen Nasenlöchern. Natürlich, diese Sorte von Leguan gehörte ins Wasser. Marit erinnerte sich, dass sie das Salz aus dem Wasser filterten. Leguane hatten niemals Durst. Sie trat neben ihm ans Wasser, bückte sich und fuhr dem seltsamen Tier über den rauen Rücken.
    »Verstehst du , wo alles hingekommen ist?«, flüsterte sie. »Verstehst du, was hier los ist?«
    José wartete lange auf Marit. Irgendwann wurde der Morgen zu hell, um ihn zu ignorieren, und Casaflora wachte auf und knurrte einen Morgengruß herüber. Er sah nicht in seinem Rucksack nach, ob die Karte noch da war. José ging zu ihm, das Gewehr über dem Arm, und sie teilten schweigend ein wenig hartes Brot aus einer weiteren Dose. Wasser gab es nur schluckweise.
    »Noch ein Kanister ist auf der Mariposa«, murmelte Casaflora. »Nur noch einer.«
    »Ich werde Wasser suchen«, sagte José. »Irgendwo muss sich das Regenwasser gesammelt haben. Aber zuerst muss ich Marit suchen.«
    »Wo ist sie?«
    »Wenn ich das wüsste«, meinte José, »brauchte ich sie ja nicht zu suchen.«
    Casaflora begleitete ihn ein Stück in den Busch und sah sich nach Steinen um, mit denen er die Schraube zurechtklopfen konnte.
    »Sieh zu, dass du sie findest«, sagte er, ehe sie sich trennten.
    »Sie machen sich Sorgen«, stellte José erstaunt fest.
    Casaflora nickte. »Natürlich mache ich mir Sorgen.«
    »Dann kommen Sie mit, sie suchen.«
    »Sie ist deine Schwester«, sagte Casaflora, »nicht meine. Die Rollen sind festgelegt. Ich bin der böse alte Mann, schon vergessen?«
    José ging kopfschüttelnd weiter. Er dachte an die Nacht zurück und an die Karte in seiner Tasche. Er dachte an das Gewehr über seiner Schulter und daran, dass er es nie benutzen würde, um einen Menschen zu erschießen, weil er es nicht konnte. Er musste mit Marit über all das reden. Nie hatte er so dringend mit jemandem reden wollen.
    »Komm schon!«, sagte er laut. »Wo bist du?«
    Und dann begann er zu rufen. Er ging kreuz und quer durch den Busch, rief und rief, rief sich heiser – und bekam keine Antwort. Nur ein paar rot-schwarze Leguane kreuzten seinen Weg und verfolgten ihn stumm mit ihren beweglichen Augen. Der Durst in seiner Kehle wuchs und er hob einen kleinen Stein auf und schob ihn im Mund hin und her. Die Abuelita hatte einmal gesagt, das würde gegen Durst helfen. Aber offenbar war es nur eine ihrer Geschichten, denn es half nicht. Irgendwann fand José sich oben auf der Caldera des Vulkans wieder, umgeben von Schwefeldämpfen. Dicke gelbliche Wolken stiegen aus dem Krater und an einigen Stellen ragten die toten Finger verdorrter schwarzer Büsche zwischen den Felsen auf. Es war sehr still hier oben.
    Kein Vogel sang, keine Zikade zirpte, selbst der Wind schlief. Nur ein blauer Schmetterling torkelte vorbei, wie betrunken von den Dämpfen aus dem Erdinneren.
    Du warst natürlich noch zu klein, flüsterte die Abuelita in seinem Kopf, als

Weitere Kostenlose Bücher