Die geheime Reise
Letzter erschien Baba, den Koffer zog er hinter sich her. Mischa, Noaeh und O kamen nach unten. Mischa stellte sich neben Wanja, und als die Artisten, einer nach dem anderen in den Koffer stiegen, schenkten sie ihren Ehrengästen einen letzten Augenblick.
Baba.
Perun.
Noaeh.
Thrym und Thyra.
Reimundo.
Sulana mit der Schlange.
Pati Tatü.
Madame Nui.
Gata.
Taro.
Als Wanja ihn im Inneren des Koffers verschwinden sah, fühlte sie, wie ihr das Herz im Leibe zerspringen wollte. Für einen Moment glaubte sie nicht die Kraft zu haben, den Koffer zu schließen, doch dann dachte sie an Amons Worte und klappte zusammen mit Mischa den Deckel zu.
»Komm.« Mischa zog sie am Ärmel. »Zurück zum Rahmen.« Als sie wieder auf ihren Plätzen saßen, öffnete sich der Vorhang ein letztes Mal. Heraus kam Amon. Er stützte sich auf seinen knorrigen Stock, humpelte auf den Koffer zu und zog ihn mit sich hinaus. Die Vorstellung war zu Ende. In den Applaus der Zuschauer mischte sich der Gong.
Die Bühne im alten Saal war leer. Die Kerzen waren erloschen, nur die Mondkugel tauchte den Raum in ein silbriges Licht und die Jugendlichen waren noch stiller als bei ihrem ersten Besuch.
Alex. Ganz aufrecht stand er neben Natalie, deren Lippen bebten.
Als Wanja aus der roten Tür zurück in die Abteilung der Alten Meister trat, war niemand mehr hinter ihr und im selben Moment, in dem die Tür mit ihrem leisen Klacken ins Schloss fiel, war sie verschwunden. Draußen schien die Sonne, es war so warm wie im Bild, und als Wanja und Mischa vor dem Museum mit Alex und Natalie ihre Telefonnummern tauschten, stieß Wanja plötzlich einen leisen Schrei aus.
»Da!«
»Wo?«
»Was denn?«
Wanja zeigte stumm zur Eingangstür, aus der ein dunkelhäutiger Mann getreten war. Er trug ein weißes Gewand und über seinen Augen lag ein milchiger Schleier. Er sah kurz in Wanjas Richtung, dann wandte er sich nach links, bog um die Ecke und verschwand.
»War das …« Mischa zog fragend die Augenbrauen hoch und Wanja nickte langsam.
Zwei Tage später, als Wanja von einem Waldspaziergang nach Hause kam, lag ein Zettel von Jo auf dem Küchentisch.
»Ich bin einkaufen gefahren. Dein Vater hat angerufen. Er hat deinen Brief erhalten und möchte dich besuchen kommen. Sein Vorschlag war übernächsten Donnerstag. Er kommt mit dem Flugzeug um 16:05 Uhr, und wenn er nichts von dir hört, geht er davon aus, dass du ihn abholst.«
Am Küchenschrank hing Jos Kalender, doch Wanja wusste schon vorher, welchen Tag sich Jolan für ihr erstes Treffen ausgesucht hatte. Am übernächsten Donnerstag war Vatertag.
V ATERTAG
M ittwochmittag, am Ende der Stunde winkte Frau Gordon Wanja zu sich. »Hast du einen Moment Zeit?«
Wanja runzelte die Stirn. Ihren Aufsatz hatte sie abgeben und seit langem auch am Unterricht wieder teilgenommen. Was war jetzt schon wieder?
»Es geht um Britta.« Frau Gordon seufzte. Britta fehlte seit zwei Tagen in der Schule und die Wochen davor war sie so abwesend und verschlossen gewesen, dass es sogar Wanja aufgefallen war.
»Ihre Eltern haben sich getrennt«, sagte Frau Gordon. »Ich habe gestern mit Frau Sander telefoniert. Britta hat es wohl geahnt, aber anscheinend nicht wahrhaben wollen. Für sie bricht eine Welt zusammen und ich glaube, dass sie jetzt eine gute Freundin braucht.« Wanja zuckte zusammen und Frau Gordon fuhr fort. »Ich habe gemerkt, dass ihr beiden euch auseinander gelebt habt, besonders nach dem, was letzten Herbst im Schullandheim geschehen ist. Aber«, Frau Gordon schob den Stapel Hefte auf ihrem Schreibtisch zur Seite, »ich glaube, außer dir kommt niemand in Frage. Glaubst du, du könntest mal bei ihr vorbeischauen?«
Wanja nickte, und als sie eine halbe Stunde später bei Britta klingelte, öffnete Frau Sander ihr die Tür. Ihre Augen waren verquollen, aber als sie Wanja sah, lächelte sie erleichtert. »Wie schön, dass du kommst. Britta hat so oft von dir gesprochen. Sie ist in ihrem Zimmer, Alina ist bei den Großeltern. Geh ruhig hoch.«
Britta saß am Tisch und starrte aus dem Fenster. Unsicher blieb Wanja in der Tür stehen. »Hallo. … Kann ich reinkommen?«
Britta nickte, sagte aber nichts. Sie trug Jeans und eine Joggingjacke und war zum ersten Mal seit Monaten nicht geschminkt. Wanja setzte sich auf den freien Stuhl und blätterte in der Mädchenzeitschrift, die davor auf dem Tisch lag. »Mach mehr aus deinem Typ«, lautete eine der Überschriften, darunter war in sieben Schritten aufgezeigt,
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