Forschungen eines Hundes
Franz Kafka
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lit era scripta manet
Wie sich mein Leben verändert hat und wie es sich doch nicht
verändert hat im Grunde! Wenn ich jetzt zurückdenke und
die Zeiten mir zurückrufe, da ich noch inmitten der Hundeschaft
lebte, teilnahm an allem, was sie bekümmert, ein Hund unter
Hunden, finde ich bei näherem Zusehen doch, daß hier seit je-
her etwas nicht stimmte, eine kleine Bruchstelle vorhanden war,
ein leichtes Unbehagen inmitten der ehrwürdigsten volklichen
Veranstaltungen mich befiel, ja manchmal selbst im vertrauten
Kreise, nein, nicht manchmal, sondern sehr oft, der bloße Anblick
eines mir lieben Mithundes, der bloße Anblick, irgendwie neu
gesehen, mich verlegen, erschrocken, hilflos, ja mich verzweifelt
machte. Ich suchte mich gewissermaßen zu begütigen, Freunde,
denen ich es eingestand, halfen mir, es kamen wieder ruhigere
Zeiten – Zeiten, in denen zwar jene Überraschungen nicht fehl-
ten, aber gleichmütiger aufgenommen, gleichmütiger ins Leben
eingefügt wurden, vielleicht traurig und müde machten, aber
im übrigen mich bestehen ließen als einen zwar ein wenig kalten,
zurückhaltenden, ängstlichen, rechnerischen, aber alles in allem
genommen doch regelrechten Hund. Wie hätte ich auch ohne die
Erholungspausen das Alter erreichen können, dessen ich mich jetzt
erfreue, wie hätte ich mich durchringen können zu der Ruhe, mit
der ich die Schrecken meiner Jugend betrachte und die Schrecken
des Alters ertrage, wie hätte ich dazu kommen können, die
Folgerungen aus meiner, wie ich zugebe, unglücklichen oder, um
es vorsichtiger auszudrücken, nicht sehr glücklichen Anlage zu zie-
hen und fast völlig ihnen entsprechend zu leben. Zurückgezogen,
einsam, nur mit meinen hoffnungslosen, aber mir unentbehrlichen
kleinen Untersuchungen beschäftigt, so lebe ich, habe aber dabei
von der Ferne den Überblick über mein Volk nicht verloren, oft
dringen Nachrichten zu mir und auch ich lasse hie und da von
mir hören. Man behandelt mich mit Achtung, versteht meine
Lebensweise nicht, aber nimmt sie mir nicht übel, und selbst junge
Hunde, die ich hier und da in der Ferne vorüberlaufen sehe, eine
neue Generation, an deren Kindheit ich mich kaum dunkel erin-
nere, versagen mir nicht den ehrerbietigen Gruß.
Man darf eben nicht außer acht lassen, daß ich trotz meinen
Sonderbarkeiten, die offen zutage liegen, doch bei weitem nicht völ-
lig aus der Art schlage. Es ist ja, wenn ichs bedenke – und dies zu
tun habe ich Zeit und Lust und Fähigkeit –, mit der Hundeschaft
überhaupt wunderbar bestellt. Es gibt außer uns Hunden vierlei
Arten von Geschöpfen ringsumher, arme, geringe, stumme, nur
auf gewisse Schreie eingeschränkte Wesen, viele unter uns Hunden
studieren sie, haben ihnen Namen gegeben, suchen ihnen zu helfen,
sie zu erziehen, zu veredeln und dergleichen. Mir sind sie, wenn sie
mich nicht etwa zu stören versuchen, gleichgültig, ich verwechsle
sie, ich sehe über sie hinweg. Eines aber ist zu auffallend, als daß es
mir hätte entgehen können, wie wenig sie nämlich mit uns Hunden
verglichen, zusammenhalten, wie fremd und stumm und mit einer
gewissen Feindseligkeit sie aneinander vorübergehen, wie nur das
gemeinste Interesse sie ein wenig äußerlich verbinden kann und wie
selbst aus diesem Interesse oft noch Haß und Streit entsteht. Wir
Hunde dagegen! Man darf doch wohl sagen, daß wir alle förmlich
in einem einzigen Haufen leben, alle, so unterschieden wir sonst
durch die unzähligen und tiefgehenden Unterscheidungen, die
sich im Laufe der Zeiten ergeben haben. Alle in einem Haufen!
Es drängt uns zueinander und nichts kann uns hindern, diesem
Drängen genugzutun, alle unsere Gesetze und Einrichtungen, die
wenigen, die ich noch kenne und die zahllosen, die ich vergessen
habe, gehen zurück auf die Sehnsucht nach dem größten Glück,
dessen wir fähig sind, dem warmen Beisammensein. Nun aber das
Gegenspiel hierzu. Kein Geschöpf lebt meines Wissens so weithin
zerstreut wie wir Hunde, keines hat so viele, gar nicht übersehbare
Unterschiede der Klassen, der Arten, der Beschäftigungen. Wir,
die wir zusammenhalten wollen, – und immer wieder gelingt
es uns trotz allem in überschwenglichen Augenblicken – gera-
de wir leben weit von einander getrennt, in
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