Thanatos
1
Regan Matthews würde sterben.
Dessen war sie sich ebenso sicher, wie sie wusste, dass der Himmel blau war. So sicher, wie sie wusste, dass das Kind in ihr ein Junge war.
So sicher, wie sie wusste, dass der Vater dieses Kindes derjenige sein würde, der ihrem Leben ein Ende setzen würde.
Mit einem Schrei richtete sie sich im Bett auf; ihre Augen konzentrierten sich auf den Schein des Nachtlichts im Badezimmer. Sie brauchte eine Sekunde, bis ihr klar wurde, dass sie wach war und sich in Sicherheit befand, im Hauptquartier der Aegis in Berlin.
Sie hatte wieder diesen Traum gehabt; den, in dem sie sich selbst am Boden liegen sah, mit ihrem eigenen Blut bedeckt, viel zu viel Blut. Thanatos, dem Großteil der Menschheit als Death oder Tod bekannt, der vierte Reiter der Apokalypse, kniete neben ihr; Blut bedeckte seine Hände, tropfte aus seinem hellen Haar und spritzte auf seinen Knochenpanzer.
Sie holte tief Luft und zwang sich, sich zu entspannen. Thanatos konnte ihr nichts antun. Nicht hier, in der Wohnanlage tief unter dem Gebäude des Hauptquartiers, das die zwölf Ältesten beherbergte, die die uralte, Dämonen jagende Organisation anführten. Die meisten Ältesten benutzten ihre Wohnung nur, wenn die Geschäfte der Aegis sie nach Deutschland führten, aber Regan nannte dieses spartanische Apartment schon seit Jahren ihr Zuhause, und obwohl ihr Baby in weniger als einem Monat auf die Welt kommen würde, hatte sie noch nichts vorbereitet. Es gab keine Dekoration, kein Spielzeug, kein Kinderbettchen.
Sie hatte Pastellfarben sowieso schon immer gehasst.
Ihre Hand, die durch die Schwangerschaft dermaßen angeschwollen war, dass sie ihren Siegelring nicht mehr trug, zitterte, als sie ihren Bauch durch den Baumwollstoff des Umstandsnachthemds hindurch rieb, in der Hoffnung, dass das Baby weiterschlafen würde. Der Kleine hatte einen Mordstritt, und ihre inneren Organe waren immer noch dabei, sich von der letzten Runde Hackysack zu erholen.
Regan tastete in der Dunkelheit nach der Nachttischlampe. Zuerst stieß ihre Hand auf den mit Höllenhundspeichel bedeckten Aegis-Dolch, den alle zwölf Ältesten stets bei sich tragen mussten, um sich im Notfall gegen einen apokalyptischen Reiter zu verteidigen; dann auf das Pergament, das neben der Lampe lag. Sie gestattete sich einen Augenblick, um mit den Fingern über die mit Tinte geschriebenen Buchstaben zu streichen. Die lateinischen Worte stellten eine Art Gebet dar, aber das war es nicht, was Regan Trost spendete.
Nein, als psychometrischer Empath war sie in der Lage, durch eine einzige Berührung Informationen herauszuspüren; genauer gesagt fühlte sie die Emotionen der Person, die mit Tinte etwas auf ein Stück Leder geschrieben hatte. Dieses spezielle Schriftstück hatte der Autor in unbeschwerter, heiterer Stimmung verfasst. Regan besaß diese Seite schon seit Jahren und labte sich wie eine Art Vampir an den Gefühlen des Schreibers, und in diesem Moment brauchte sie es mehr als in all den vergangenen Monaten.
Nachdem einer der Reiter böse geworden war und sein Siegel genau wie in der Prophezeiung der
Daemonica
, der dämonischen Bibel, gebrochen war, herrschte Chaos auf der Erde. Eine Apokalypse war vermutlich nie besonders lustig, aber Regan fragte sich oft, warum sie es nicht stattdessen mit der biblischen Variante zu tun haben konnten. In der Version der Bibel kämpften die Reiter auf der Seite des Guten, nicht des Bösen.
Aber das war nur einer der Gründe, warum sie dieses Pergament so dringend brauchte. Die Reue über das, was sie Thanatos angetan hatte, nagte an ihr, und wenn sie das auch gewiss verdient hatte, musste sie doch um des Kindes willen Frieden finden, wo sie nur konnte.
Sie gestattete sich weitere dreißig Sekunden Trost, dankbar, dieses Schriftstück in ihrem Besitz zu haben. Es handelte sich um die letzte Seite eines Büchleins, geschrieben von einem weiblichen Engel, der sein Leben gegeben hatte, um einen Wächter zu retten. Somit war es unbezahlbar. Regans Kollegen, die anderen Ältesten, drängten sie schon seit Jahren, es ihnen endlich wieder zu überlassen, aber die würden sich gedulden müssen. Frühestens bei ihrem Tod würde sie darauf verzichten.
Und der könnte schneller eintreten, als ihr lieb war, sollte sie Thanatos in die Hände geraten.
Ihre Finger lösten sich vom Pergament, aber noch ehe sie den Lichtschalter fand, hörte sie etwas und erstarrte. Es war kein lautes Geräusch. Vielleicht hatte sie es sich ja auch
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