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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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rot gefärbten Haaren. Von dem zierlichen, biegsamen Körper zu dem kräftigen, muskulösen. Von Jos ruhelosem, immer ein wenig kritischen Blick zu Floras blitzenden Augen, die einen ständig anlachten. Außergewöhnlich waren beide Frauen und Wanja spürte, dass das auch den Männern nicht entging, denen sie unterwegs begegneten. Mehr als einmal hatte sie bemerkt, wie sich ein Mann nach ihrer Mutter umdrehte, sie anlächelte oder sogar anstarrte. Aber während Flora eine Affäre nach der anderen hatte, prallten die Männer an Jo ab wie an einer unsichtbaren Mauer. Wanja dachte an den jungen Mann, der Jo auf ihrer letzten Fahrt zu Oma und Uri im Zugabteil angelächelt hatte. Wie die Mundwinkel seines fröhlichen Gesichtes ruckartig nach unten gesackt waren, als Jo an ihm vorbeigeschaut hatte, als ob er Luft gewesen wäre.
    Als Wanja um kurz vor Mitternacht mit Schröder auf dem Arm die Zimmertür hinter sich schloss, hatten sie drei Runden »Siedler von Catan« gespielt. Jo hatte wieder verloren und auf Floras »Pech im Spiel, Glück in der Liebe« mit einem verächtlichen Augendrehen reagiert. Wanja legte sich ins Bett, zog Schröder zu sich unter die Decke und starrte den Wecker an.
    In drei Minuten war Mitternacht. In zwei, in einer, jetzt.
Die Ziffern klappten nach hinten. 00:00 Uhr. Aber die Ziffern blieben weiß. Das Radio blieb aus. Alles blieb still. Als wäre nie etwas geschehen. Nur ihr Herz hörte Wanja schlagen. Sie legte ihre Hand auf die Stelle. Es war etwas geschehen. Und Wanja fühlte, dass dieses Etwas erst der Anfang war.

D IE E INLADUNG
    H inter Wanja lag ein sonniges und, wie Jo immer sagte, plumpsgemütliches Wochenende. Flora hatte bei ihnen übernachtet und am Sonntag hatten sie zum ersten Mal in diesem Jahr im Garten gefrühstückt. Anschließend hatte Flora ihre mitgebrachten Deutschhefte korrigiert und Jo hatte Unkraut gezupft. »Das entspannt die Nerven«, sagte sie immer und Jos Nerven brauchten viel Entspannung.
    Während Jo mit bloßen Händen in der Erde wühlte und Flora über die Grammatikfehler ihrer Schüler fluchte, turnte Wanja am Reck, flickte den Hinterreifen ihres Fahrrades und ärgerte sich über Brian.
    Brian war sechs, wohnte im Nachbarhaus und kam mindestens einmal pro Woche ungebeten zu Besuch. Früher hatte Wanja ganz gern mit ihm gespielt, aber seit Brian letzten Sommer doppelseitigen Tesafilm unter Schröders Pfoten geklebt hatte, war er bei Wanja unten durch. Das scherte Brian allerdings kein bisschen.
    Mit einem schmelzenden Eis in der einen und Spiderman in der anderen Hand stolzierte er durch das geöffnete Törchen in Wanjas Garten. Spiderman war Brians Stoffhase und ständiger Begleiter. Wanja hatte ihn schon gekannt, als er noch schneeweiß und vollkommen gewesen war. Jetzt fehlten Spiderman ein Ohr, ein Bein und die Farbe seines Fells war schwer in Worte zu fassen.
    Brian wischte seinen Erdbeereismund an Spidermans Fell ab, klemmte sich den Stoffhasen unter den Arm und stellte sich an Wanjas Fahrrad. Während er mit dem Vorderreifen Lenkrad spielte, erzählte er Wanja viermal hintereinander den Witz von Dick und Doof im Kaufhaus. Nach dem zweiten und nach dem vierten Mal rief ihn seine Mutter zum Essen.
    Flora und Jo kicherten. Brians Mutter konnte das englische »r« nicht aussprechen und immer, wenn sie ihren Sohn rief, klang es wie »Breien«.
    »Ich frage mich, warum man seinem Kind einen Namen gibt, den man nicht aussprechen kann«, hatte Wanja mal zu Jo gesagt.
    Jo hatte gegrinst. »Zumal der arme Kerl mit seinem Nachnamen schon genug gestraft ist.«
Als Wanja endlich ihren Reifen wieder aufgepumpt hatte, rief Brians Mutter zum dritten Mal. »Nun zieh schon Leine, Trockenbrodt!«, schnaufte Wanja.
Brian zog seine Rotznase hoch, streckte Wanja die Zunge raus, schob sich zwischen sie und den Reifen und im nächsten Moment machte es Pffffhhhh .
»Du verdammter, kleiner Mistkerl!« Wanja machte einen Satz auf Brian zu, aber der war schon zum Gartentor hinausgeflitzt. Jo und Flora gaben sich die größte Mühe, nicht loszuprusten, während Wanja mit hochrotem Kopf ihren Reifen zum zweiten Mal aufpumpte.
Nachmittags hatte Flora Apfelkuchen gebacken und Jo hatte das ganze Wochenende kein einziges bisschen gearbeitet.
    Als Frau Gordon um eine Minute vor acht ihre Hüften durch den Türrahmen schob, stand Wanja schon am Lehrerpult.
    »Der unbekannte Ritter«, hieß der Titel der Geschichte, die Wanja nach den Vorgaben ihrer Klassenlehrerin geschrieben hatte.

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