Die geheime Reise
Hand auf den Tisch knallen. »Sag mal, spinnst du oder was?! Eigentlich wollte ich meine Freundin besuchen und nicht die Polizei.«
Jo grinste. »Also verheiratet.«
»Du bist gemein, Jo«, sagte Wanja.
»Sie hat ja Recht.« Flora seufzte ein zweites Mal und trank einen Schluck Wein. Dann krempelte sie die Ärmel hoch und nahm von Jo das Brett mit den Hühnerbrüsten entgegen.
»Wie läuft’s denn bei dir, Wanjamaus? Was hat Frau Gordon zu deiner Wahnsinnsgeschichte gesagt?«
»Noch gar nichts.« Wanja hatte sich den Kopfsalat aus dem Kühlschrank geholt, setzte sich zu Flora an den Tisch und fing an die Blätter abzuzupfen. »Ich bin gestern zu spät gekommen. Montagmorgen ist meine letzte Chance, hat Frau Gordon gesagt.«
»Na, dann komm bloß nicht wieder zu spät. Und was macht dein Freund Herr Schönhaupt?«
Wanja streckte die Zunge raus. »Schmierkopf, Kotzbrocken, Würggesicht. Warum kannst du nicht bei uns unterrichten?«
Flora schnitt die Hühnerbrüste in hauchfeine Streifen. Geräuschlos ließ sie das Messer durch das rohe Fleisch gleiten, nur beim Wegschieben der Streifen war ein leises Kratzen zu hören. »Weil ich kein Mathe unterrichte«, antwortete sie, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. »Und weil du mich als Deutsch- und Kunstlehrerin vielleicht auch nicht ausstehen könntest.«
»Könnte ich wohl. Unsere Kunstlehrerin ist todlangweilig.«
»Langweilig ist natürlich schlecht«, sagte Flora. »Was macht ihr denn gerade in Kunst?« Nach nunmehr hundert Jahren Pause zeigt der Hüter der Bilder zum dritten Mal die Ausstellung Vaterbilder.
»Expressionismus«, erwiderte Wanja. »Hast du schon mal was von einer Ausstellung gehört, die Vaterbilder heißt?«
Flora setzte das Messer ab. »Vaterbilder? Nie gehört, klingt aber interessant. Von wem soll die denn sein?«
Wanja angelte mit der Zunge nach ihrer Haarsträhne und schob das Sieb mit den abgepflückten Salatblättern zur Seite. »Keine Ahnung, hab’s irgendwo gelesen. Hey, da bist du ja.«
Ein lautes Brummen ertönte unter dem Esstisch und kurz darauf rieb Schröder seine nasse Nase an Wanjas Bein. »Komm hoch, mein Dickmops.«
»Aber gib ihm nichts vom Huhn.«
Jo setzte sich neben Flora an den Tisch, steckte sich ein Salatblatt in den Mund und goss sich ebenfalls ein Glas Rotwein ein.
»Und was gibt’s Neues in deiner Schule? Wie geht’s denn deinem Problemkind Julia oder wie die heißt?«
Flora stöhnte auf. »Judith. Mies geht’s der. Aber sie hat beschlossen nicht abzutreiben und will das Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben.«
Wanja zuckte zusammen. »Wie alt ist die denn?«
»Fünfzehn.«
»Und der Vater?«
»Sechzehn – und gestern mit seinen Eltern in eine andere Stadt gezogen. So ein Zufall, was?« Flora stand auf, um sich die Hände zu waschen. »Lass uns das Thema wechseln, sonst vergeht mir noch die Lust aufs Essen.«
Wanja starrte vor sich auf den Tisch und verrieb mit der Fingerspitze einen Wassertropfen, der von den Salatblättern auf die Tischplatte gefallen war.
Fünfzehn! Dieses Mädchen war nicht viel älter als sie selbst. Auch bei Wanjas Klassenkameradinnen stand das Thema Jungs ganz oben auf der Liste und die meisten hatten auch schon einen Freund gehabt. Sue sowieso. Aber viel mehr als knutschen war nicht drin und Wanja für ihren Teil hatte damit sowieso noch nicht viel am Hut.
Der Duft des Essens, das Flora eine halbe Stunde später auf den Tisch stellte, erfüllte die ganze Küche und Wanja lief das Wasser im Mund zusammen. Jo, die Kochen hasste, brachte mit Ach und Krach ein Spiegelei zu Stande, deshalb waren die Tage, an denen Flora zum Kochen kam, köstliche Ausnahmen. Während Wanja all ihre Aufmerksamkeit dem zarten Fleisch und der süßen Orangensahnesauce schenkte, schimpfte Jo über ihren Chef.
» Dick und Schick wollte der auf den Katalog schreiben, kannst du dir das bitte vorstellen! Der Typ hat sie doch nicht mehr alle.«
Flora lachte. »Immer noch besser als Fett und Nett . Was war denn dein Vorschlag, Frau Texterin?«
Jo wischte mit ihrem letzten Stück Huhn den Teller sauber. » Groß in Mode fand ich gut. Und dann klein drunter, Frauenmode ab Größe 44 . Aber das war dem Idioten zu soft. Ich soll das Thema beim Wort nennen, hat er gesagt. Meine Nerven, ich sag’s dir. Dick und Schick , das ist keine Werbung, das ist eine Unverschämtheit!«
Jo legte die Gabel beiseite und knüllte ihre Serviette zusammen. Wanja sah von ihr zu Flora. Von den wilden braunen Locken zu den hoch gesteckten,
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