Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing
Anders war das, was vor seinen Augen geschah, nicht zu erklären. All diese Menschen starrten Tom an. Sie verteilten sich im Raum. Tom wich noch etwas zurück, doch ehe er sich versah umgaben sie ihn in einem Halbkreis.
Lady Mary lächelte.
Im selben Moment sah er das gleiche kalte Lächeln auf allen anderen Gesichtern.
Es war gespenstisch.
"Ich kann dir hier jeden Wunsch erfüllen, Tom! Jeden!", sagte Mary dann.
Und Dostan Radvanyi, jener begnadete Pianist, dem sie am vorhergehenden Abend im Salon gelauscht hatten, fügte hinzu: "Die Macht meines Geistes ist hier unbegrenzt, Tom..." Radvanyi lachte schallend, als er die Verwunderung in Toms Gesicht sah. "Ja, auch ich bin nur eine Maske, Tom. Hinter all dem steht nichts anderes, als der Geist von Mary Delancie!"
Jetzt meldete sich eine der Damen zu Wort, die zu der Gästegesellschaft gehörten. "Du solltest aber auf keinen Fall auf den Gedanken kommen, dich gegen mich zu stellen!"
"Ich kann mit dir jederzeit mit Leichtigkeit dasselbe tun, wie mit Patricia!", kam es jetzt wieder über Mary eigene Lippen. Aber auch all das, was zuvor gesagt worden war, war ihrer Seele entsprungen. Fast zwei Dutzend Augenpaare starrten Tom an.
"Du hast schon einmal davor zurückgeschreckt!", erinnerte Tom sie.
"Du sprichst von gestern Nacht."
"Ja."
"Verlass dich nicht darauf, dass das immer so sein muss!" Ihr Gesicht bekam einen säuerlichen Ausdruck. "Liebe verwandelt sich mitunter auch in Hass, Tom! Daran solltest du immer denken!"
Eine Drohung!, durchfuhr es Tom. Es war eine unverhohlene Drohung. Er war ein Gefangener und es schien keinen Ausweg zu geben. Und keine Macht, die es mit der ihren hätte aufnehmen können.
"Was ist mit Willard?", fragte Tom dann plötzlich. "Ist er auch nur ein Produkt deines Geistes? Hast du ihn ebenso unter Kontrolle wie alles andere?"
"Natürlich", flüsterte sie.
"Dann zeig es mir!", forderte Tom. "Ruf ihn her! Zeig mir, dass du ihn so unter Kontrolle hast, wie alles andere! Ich glaube dir nämlich nicht!"
Für einen Augenblick begann sich Marys Gesicht wieder zu verformen. Es verzog sich zu einer grimmigen, wütenden Maske. Ein fauchender Laut ging von ihr aus.
Gleichzeitig schien sich Dostan Radvanyis Gesicht für einen Moment zu verwandeln.
Für Sekunden nur zeigte sein Kopf das Antlitz von Willard Delancie, so wie Tom es bei dem Reiter gesehen hatte. Doch das währte nicht länger als einen Augenaufschlag, dann war der alte Zustand wieder hergestellt. Ein Schrei der Wut ging über Marys Lippen.
Tom machte ein paar schnelle Schritte und war bei der Tür. Er riss sie auf, stieß den Butler zur Seite, der dahinter zum Vorschein kam und rannte den langen Flur entlang. Dann hatte er die Eingangshalle erreicht.
Er blickte sich kurz um, riss die Tür auf und trat hinaus auf die Stufen des Portals. Der Nebel schien noch dichter geworden zu sein.
Die Kälte war unmenschlich.
Er lief die Stufen hinab.
Ich habe es mir gedacht, schoss es ihm durch den Kopf. Sie kann Willard nicht kontrollieren!
Woran auch immer das liegen mochte. Ihr Geist steckte in dieser seltsamen Zwischenwelt hinter allem. Hinter fast allem. Sie schien nicht allein hier zu sein.
Ich muss Willard finden!, dachte Tom. Vielleicht konnte er ihm helfen.
Er lief in den Nebel hinein.
Niemand folgte ihm.
Dann erreichte er den Teich.
Das dunkle, spiegelglatte Wasser hob sich plötzlich. Es wölbte sich in einer wie zähflüssig wirkenden Beule empor. Ein schwarze Gestalt mit leuchtenden Augen watete durch das schwarze Wasser auf das Ufer zu.
Tom erschrak bis in die Knochen...
Dies war zweifellos jenes Monstrum, dem er bereits in der vergangenen Nacht begegnet war.
Mit einem schmatzenden Geräusch kam es an Land. Dann verharrte es. Tom sah die grell leuchtenden Augen in der Mitte des Kopfes. In diesen Augen war dasselbe grelle Leuchten zu finden, wie wenige Augenblicke zuvor in denen von Lady Mary.
Das Monstrum wartete.
Tom blieb stehen.
Hinter sich vernahm er jetzt Schritte auf den steinernen Stufen des Portals.
Er blickte sich halb um. Aus den Augenwinkeln heraus sah er drei menschliche, sehr bleich wirkende Gestalten die Stufen hinuntergehen. Es waren Lady Mary, ihr Butler und Dostan Radvanyi, der Pianist.
"Habe ich es dir nicht gesagt, Tom?" Ihre Stimme war wie ein eisiger Hauch.
Tom sah ihr entgegen, als sie sich ihm näherte.
"Es hat keinen Sinn", sagte sie.
"Das werden wir sehen!", erwiderte Tom düster. Und dann registrierte er, wie sie plötzlich
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