Die Geheimnisse der Therapeuten
erhöhtes Risiko einer Herzkreislauferkrankung haben. Sie schreiben selbst, dass man diskutiert, ob Ãngstliche eine kürzere Lebenserwartung als andere Menschen haben.« Kurz gesagt, wir waren ziemlich blockiert, und die Therapie ging nicht recht voran.
Wie man seine Ãberzeugungen loswird
Einige Wochen später kam Mathilde strahlend wieder. Sie hatte den Vortrag eines Rabbi über das Gebot gehört: »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du länger lebest in dem Land, das Gott dir gegeben hat.« Unter anderem hatte der Rabbi gesagt, dass harmonische Beziehungen zu den Eltern glücklich machten und dass dieses Glück ein Unterpfand für Gesundheit und damit für ein langes Leben sein könne. Mitten im Vortrag hatte Mathilde so etwas wie eine Offenbarung gehabt: Ein langes Leben hing mit Glück zusammen. Da sie glaubte, dass das Einzige, was sie am Glücklichsein hinderte, ihre Angst war, beschloss sie auf der Stelle, den wissenschaftlichen Studien zu glauben (Panikattacken sind nicht tödlich) und auf ihre bisherige Ãberzeugung zu verzichten.
Ihre Ãberlegung war einfach: Wenn ich meine Ãberzeugung aufgebe, dass ich bei einer Panikattacke mit Sicherheit sterben werde, und die Panikattacken akzeptiere, werde ich mit allen Situationen umgehen können, die mich heute bedrängen. So kann ich nach meinen Vorstellungen leben und werde glücklicher sein. Wenn ich ein gewisses Glück erreiche, werde ich länger leben. Auf ihre Weise â und einige Jahre vor meinem Freund Christophe André â sagte sie mir, dass sie beschlossen habe, glücklich zu sein, um länger zu leben! 8 Von da an machte sie konsequent Fortschritte, und die Therapie nahm wieder einen befriedigenden Fortgang.
8 »Ich habe beschlossen, glücklich zu sein, weil es gut für die Gesundheit ist«, ist ein Zitat von Voltaire. Es ist heute bedeutsam für die Arbeiten von Christophe André über das Glück.
Seither verwende ich diese Geschichte oft für andere Patienten und auch für mich selbst. Bevor ich Mathilde kennenlernte, kannte ich schon Studien, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Gesundheit und guter Laune (und zwischen Depression und Sterblichkeit) befassten. Aber Mathildes Offenbarung war auch für mich ein Beweis. Dieselben Worte, selbst Dutzende Male wiederholt, können manchmal in einem einzigen Augenblick einen sehr viel tieferen Sinn bekommen.
Es ist nicht immer der Tod, der Angst macht
Im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung kommt es häufig vor, dass Patienten, die Angst um ihre Gesundheit haben, nicht gleichzeitig von Todesangst befallen sind.
Claude-Jean war ein brillanter Hochschullehrer in den Vierzigern. Er war mir von seinem Hals-Nasen-Ohren-Arzt geschickt worden, weil er an einem Tinnitus litt. Sehr häufig treten Ohrgeräusche aus heiterem Himmel auf, oft nach einem Hörtrauma (beispielsweise nach einem Rockkonzert) oder wenn man die Regeln des Druckausgleichs nicht beachtet (Tauchunfälle). Aber im Fall von Claude-Jean lieà sich keine nachvollziehbare Ursache finden. Seit einem Jahr hatte er ein Pfeifen in den Ohren. Anfangs war es nicht ständig da, aber allmählich hatte er einen Teil seiner Hörfähigkeit auf dem rechten Ohr eingebüÃt, und das Pfeifen war konstant geworden. Die Untersuchungen (Ultraschall, MRT, Ohruntersuchungen) hatten nichts Ernstes zutage gefördert, aber es trat keine Besserung ein. Claude-Jean musste sich notgedrungen an die Geräusche gewöhnen.
Hinter einer Angst kann sich eine andere verbergen
Als wir uns am Ende der ersten Stunde kurz vor dem Auseinandergehen an der Tür verabschiedeten, war es Claude-Jean wichtig, mir noch etwas anzuvertrauen: »Herr Doktor, ich habe Ihnen nicht alles gesagt.« Manchmal fällt es Patienten sehr schwer, den wahren Grund ihrer Konsultation zu nennen. In diesem Fall baut sich am Ende der Stunde eine Spannung auf, die für den Therapeuten gut wahrnehmbar ist. Sich Zeit zu lassen, bevor man den Patienten hinausbegleitet, ist einer der Ratschläge, den ich regelmäÃig Ãrzten und Psychologen geben, die ich supervidiere. »Der Grund, aus dem ich Sie in Wirklichkeit aufsuche, ist nicht so sehr, dass ich mich an mein Problem gewöhnen muss. Was mir am meisten zusetzt, ist, dass ich manchmal mitten in der Nacht mit der panischen Angst aufwache, einen Gehirntumor zu haben. Der Schwager meiner ersten
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