Die Geheimnisse der Therapeuten
AnschlieÃend vermeidet man angstauslösende Situationen, man sucht »psychologische« Erklärungen.
Begegnung mit Albert Ellis
Im gleichen Atemzug stellte ich fest, dass auch die Diskrepanz zwischen meinem Alltag mit mehrfach rückfällig gewordenen jugendlichen Straftätern, die uns im Erziehungsheim anvertraut waren, und den Aussagen der psychologischen Theorie sehr groà war. Wenn in der Institution, in der ich arbeitete, Gruppentherapien nach dem Modell der »geführten Fantasiereise« von Robert Desoille durchgeführt wurden (eine Psychotherapie, bei der die »Klienten« in der Gruppe frei assoziieren und ihre Fantasiereisen entweder schildern oder malen), sah ich, dass man dem Freudâschen Unbewussten alles andichten konnte, was man wollte. Die Straftaten unserer Jugendlichen nahmen zu, aber man versicherte mir, »dass es ihnen besser ginge«, weil sich auf der psychischen, der unbewussten Ebene etwas in ihnen entwickelte. Kurz, ich erlebte jeden Tag die Magie der Psychoanalyse und insbesondere die Unaufrichtigkeit ihrer Schamanen. Ich kündigte und beschloss, Gegner des Freudâschen Mythos kennenzulernen. Anfang der 1980er Jahre entdeckte ich in den USA das Werk von Albert Ellis, dem Vorläufer der kognitiven Methode, und ich beschloss, an seinem Institut in New York eine Ausbildung zu machen.
Ich war kurz davor, vor Angst zu brüllen ⦠Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle.
Um in die USA zu reisen, musste ich fliegen, und beim ersten Flug hatte ich eine ebenso starke Panikattacke wie schon in der Pariser Metro einige Jahre vorher: Mein Körper wand sich, wurde unruhig und verkrampfte sich unkontrollierbar. Ich konnte meinen Atem nicht mehr steuern, so stark waren die Luftnot und das Gefühl zu ersticken, ich hatte den Wunsch, zu schreien und um Hilfe zu rufen. Ich packte meinen Nachbarn im Flugzeug am Arm und zerknüllte eine Zeitschrift, die ich las. Ich war kurz davor, vor Angst zu brüllen und zu verlangen, dass man sofort alle Türen und Luken öffnen solle. Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle. Mein Nachbar rief die Stewardess. Sie gab mir Wasser. Kurz danach wurde das Essen serviert, und es ging mir besser. Mein Nachbar unterhielt sich mit mir, ich erzählte ihm von dieser verdammten Klaustrophobie, aber wagte nicht, ihm zu sagen, dass ich Psychologe war und eine Ausbildung zum Therapeuten machen würde ⦠Was für eine Schande!
Das Empire State Building
Bei meiner Anmeldung zur Ausbildung am RET-Institut von Albert Ellis hatte ich vermerkt, dass ich Wert darauf legte, in einem »niedrigen« Gebäude untergebracht zu werden, was die Institutssekretärin, mit der ich telefonierte, sehr erheiterte: »Wissen Sie, in New York wird das aber schwierig sein!« Im Institut angekommen, gab man mir die Adresse meiner Unterkunft. Aha! Man hatte für mich ein Zimmer bei einem Anwalt in einem schönen Jugendstilhaus ganz in der Nähe der 65. StraÃe gefunden, und das besagte Zimmer war in der vierten Etage. Glück gehabt! In New York zu wohnen, ohne einen Fahrstuhl benutzen zu müssen!
An der Haustür des Anwalts wurde ich von seiner Frau in Empfang genommen. Die Eingangshalle war riesig, und ich sah eine Treppe im Kolonialstil, die vom Erdgeschoss nach oben führte. Als ich darauf zuging, sagte die Vermieterin zu mir: »Das ist eine Privattreppe. Für Ihr Zimmer nehmen Sie bitte unseren kleinen Aufzug, der Sie direkt in den vierten Stock bringt.« Ich drehte mich um und sah die Fahrstuhltür. Ich war nicht beunruhigt, vier Etagen, das war harmlos! Ich stieg ein und drückte auf den Knopf: Es war ein Lastenaufzug. Es gab nur eine Betonmauer, die langsam an mir vorüberglitt. Ich hatte den Eindruck, eingemauert zu sein, so finster war es. Kein Lichtstrahl drang durch, und ich musste dieses angsterregende Dunkel bis zu meiner Etage aushalten, weil es keinen Zwischenhalt gab. Später berechnete ich die Fahrtzeit: eine Minute und zwanzig Sekunden, länger als es dauerte, um in Hochgeschwindigkeitsfahrstühlen auf das Empire State Building zu gelangen. Die Panikattacke drohte, ich war kurz vor dem Herzanfall. Wie sollte ich diesen Lastenaufzug überleben? Aber, oh Wunder, es gelang mir, mein Zimmer lebend zu erreichen! Ich beschloss, das Problem in den Supervisionssitzungen anzusprechen, die Ellis am nächsten Tag halten würde. Ich wollte den Dingen endlich auf den Grund
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