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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christophe André
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einem Urlaub trug dieser Cocktail aus Müdigkeit, Überdruss und Suchtmitteln wahrscheinlich zu meiner ersten Panikattacke bei.
    Es begann auf dem Bahnhof
    Ich befand mich in der Pariser Metro auf der Fahrt zum Gare Saint- Lazare, wo ich den Zug in meine Heimatstadt nehmen wollte. Der Wagen war gerammelt voll, und meine jungen Wehrdienstkameraden waren fröhlich und laut und freuten sich auf den lange herbeigesehnten Augenblick der Freiheit.
    Die Luft war verbraucht, die Metro übervoll, und ich wollte so schnell wie möglich aus dem Wagen. Plötzlich drehte sich alles um mich herum, ein starkes und verunsicherndes Schwindelgefühl ergriff mich, ein bleiernes Gewicht legte sich auf meine Brust, Atemnot, zitternde Hände, mein ganzer Körper geriet außer Kontrolle. Ich wurde panisch, packte einen Kumpel am Arm und drückte ihn heftig. Er drehte sich überrascht um, gerade in dem Augenblick, als ich das Schild »Saint-Lazare« auf dem Bahnsteig sah … Die Tür ging auf, und mein Unwohlsein verflog augenblicklich.
    Meine Mutter ist schuld
    In diesem Jahr als Wehrdienstleistender beschloss ich, mich stärker für Psychologie zu interessieren. Ich wollte auch das Unwohlsein verstehen, dass ich in der Metro erlebt hatte, und fing an, wieder Bücher von Freud zu lesen, die mich schon vorher fasziniert hatten. Endlich würde ich Erklärungen für mein »Symptom« finden. Die Hypothese einer irgendwie gearteten »sexuellen Verdrängung« erschien mir nicht sehr stichhaltig, denn ich profitierte von der größeren Freizügigkeit nach 1968. Hingegen hatte ich das Gefühl, dass vielleicht etwas zwischen mir und meiner Mutter vorgefallen war, etwas, das tief in den Abgründen meines Unbewussten verborgen war. Ich suchte nach einem eventuellen »infantilen Trauma«, das dem zugrunde lag, was ich von nun an unter dem Begriff »Klaustrophobie« verstand.
    Ich erinnerte mich tatsächlich an einen Vorfall im Alter von vier Jahren. Meine Mutter hatte mich in ein großes Geschäft in der Stadt mitgenommen, und wir waren in einen Fahrstuhl eingestiegen, der stecken blieb. Sie hatte meine Hand gehalten, und ich erlebte noch einmal die ganze Angst, die sie auf mich übertragen hatte. Ich erinnere mich, dass sie mich beruhigen wollte, aber auch, dass sie feuchte Hände hatte und blass war. Was wir gerade erlebt hatten, musste sehr gefährlich gewesen sein. Alles wurde klar: Die Beziehung zu meiner Mutter war der Auslöser, und als ich nach Beendigung meines Wehrdienstes anfing, Psychologie zu studieren, hing ich dieser Hypothese noch mehr an, denn, wie ich erfuhr, kam mit vier der Ödipuskomplex zum Ausbruch. Diese theoretische Erklärung passte mir umso mehr ins Konzept, als mein Symptom mich nicht mehr quälte. Während des Wehrdienstes hatte ich Tricks gefunden, um die Angst in der Metro zu umgehen: Entweder machte ich einen langen Fußmarsch vom Gare de l’Est zum Gare St. Lazare, oder ich betäubte mich mit mehreren Bieren, bevor ich in die Metro stieg. Auf jeden Fall hatte ich meine »psychologische« Erklärung, und es ging mir besser.
    So lebte ich einige Jahre, ohne mich um die Klaustrophobie zu kümmern. Sie hatte sich erledigt. In der Stadt, in der ich wohnte, gab es keine Metro, ich fuhr selten Zug, und noch seltener flog ich. Ich war anscheinend geheilt. Ich war Heimerzieher geworden, während ich gleichzeitig an der Universität von Caen Psychologie studierte, und stellte jeden Tag die Diskrepanz zwischen der Theorie an der Universität und der Alltagspraxis fest. Ich fing an, die psychoanalytischen Hypothesen infrage zu stellen. Wenn ich ab und zu Augenblicke unverhältnismäßig großer Angst erlebte, was nicht häufig geschah, genügte es doch, um mich auf den Gedanken zu bringen, dass die Erklärung, die ich für meine Klaustrophobie gefunden hatte, noch einmal überdacht werden müsste … Das Postulat, dass »jede Störung auf ein Problem im Unbewussten hinweist«, befriedigte mich nicht mehr, und meine »Symptome«, meine alten Ängste, gewannen allmählich wieder die Oberhand. Ich hatte immer Angst davor, irgendwo eingeschlossen zu sein, und ich vermied angstauslösende Orte, so gut es ging.

    In den Klauen der Panik
    Wenn die Panikattacke kommt, versteht man nicht, was los ist: ein Gefühl, gleich zu sterben, Kontrollverlust, Angst vor der Angst.

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