Die geheimnißvolle Insel
man wieder mehr nach Osten vordringen, wobei man auf den schmalen Pfaden in Schlangenwindungen gehen und Jeder aufmerken mußte, wohin er den Fuß setzte. Nab und Harbert nahmen die Spitze, Pencroff das Ende des Zuges ein, Cyrus und der Reporter gingen zwischen ihnen. Die Thiere, welche diese Höhen besuchten und von denen man häufiger Spuren antraf, gehörten unzweifelhaft zu den Racen mit sicheren Füßen und geschmeidigem Rückgrathe, wie z.B. die Gemsen. Einigen derselben begegnete man auch, doch legte ihnen Pencroff diese Namen nicht bei.
»Da sind Schasel« rief er.
Alle blieben etwa fünfhundert Schritte vor einem halben Dutzend ziemlich großer Thiere stehen, welche starke rückwärts gebogene und an der Spitze abgeplattete Hörner und unter langen seidenartigen Haaren von gelblicher Farbe ein dichtes wolliges Fließ hatten.
Es waren das keine gewöhnlichen Schafe, sondern eine in den Gebirgsgegenden der gemäßigten Zonen sehr verbreitete Art, denen Harbert den Namen »Muflons« (wilde Schafe) gab.
»Ißt man die Keulen und Coteletten von ihnen? fragte der Seemann.
– Ja, antwortete Harbert.
– Nun, dann sind es auch Schafe!« behauptete Pencroff.
Unbeweglich zwischen den Basalttrümmern glotzten die Thiere die Wanderer an, so als ob sie zum ersten Male zweifüßige Geschöpfe sähen. Plötzlich schien aber das Gefühl der Furcht in ihnen zu erwachen, und schnell waren sie über die Felsstücke springend verschwunden.
»Auf Wiedersehen!« rief ihnen Pencroff mit so komischem Tone nach, daß Alle darüber sich des Lachens nicht enthalten konnten.
Die Besteigung wurde fortgesetzt. An so manchem steilen Abhange konnte man die Spuren der Lava in den sonderbarsten Richtungen verfolgen. Oefter trafen die Wanderer auf ihrem Wege kleine Solfataren (Schwefeldunstquellen), welche man umkreisen mußte. An einzelnen Stellen hatte sich der Schwefel in Form krystallinischer Concretionen mitten zwischen den Auswurfstoffen, welche den Lava-Eruptionen vorher zu gehen pflegen, wie Puzzolanerde in unregelmäßigen, hartgebrannten Stücken und weißlicher, aus ganz kleinen Feldspathkrystallen bestehender Asche abgelagert.
Mit Annäherung an das erste Bergplateau nahmen die Schwierigkeiten der Besteigung noch bedeutend zu. Gegen vier Uhr war die oberste Baumgrenze überschritten. Nur da und dort fristeten noch einige dürftige Fichten ihr zähes Leben, das auch in dieser Höhe dem wüthenden Winde Trotz zu bieten vermochte.
Mühsame Bergfahrt. (S. 102.)
Zum Glück für den Ingenieur und seine Begleiter hielt sich das Wetter jetzt sehr schön und die Atmosphäre ruhig, denn bei der Höhe von dreitausend Fuß würde sie eine kräftige Brise nicht wenig in ihren Bewegungen gehindert haben. Bei der Durchsichtigkeit der Luft fühlte man fast die Reinheit des Himmels am Zenith Rings um sie her herrschte vollkommene Ruhe.
Je nachdem sich der Krater erweiterte … (S. 108.)
Die Sonne, welche hinter dem zweiten Gipfel wie hinter einem ungeheuren Lichtschirm verborgen war, sahen sie zwar nicht, auch blieb der ganze westliche Horizont verdeckt, dessen gewaltiger Schatten entsprechend dem niedersinkenden Tagesgestirn an Größe zunahm. Einige Dünste, mehr Nebel als eigentliche Wolken, begannen im Osten aufzusteigen und färbten sich durch die Brechung der Sonnenstrahlen mit allen Schattirungen des Spectrums.
Nur fünfhundert Fuß trennten die Forscher jetzt von dem Plateau, das sie erreichen wollten, um daselbst ihr Nachtlager aufzuschlagen; doch dehnten sich diese fünfhundert Fuß durch den Zickzackweg, dem man folgen mußte, zu mehr als zwei Meilen in der Länge aus. Ost fehlte, wie man zu sagen pflegt, der Boden unter den Füßen. Die Abhänge fielen manchmal so steil ab, daß man auf der erstarrten Lava hinglitt, welche dem Fuße keinen genügenden Stützpunkt bot. Allmälig sank der Abend herab, und schon war es fast Nacht, als Cyrus Smith und seine Begleiter, sehr ermattet von einem siebenstündigen Aufwärtssteigen, auf dem Plateau des unteren Bergkegels ankamen.
Jetzt ging man daran, eine Lagerstätte herzurichten, um durch Nahrung und Schlaf die verlorenen Kräfte zu ersetzen. Die zweite Etage des Berges erhob sich von einer Felsenbasis, zwischen deren Spalten man leicht einen sicheren Schlupfwinkel fand. An Brennmaterial war hier freilich etwas Mangel, doch erhielt man mittels Moosen und trockenem Gesträuche, das sich noch hier und da auf dem Hochplateau vorfand, ein leidliches Feuer. Nab
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