Die geheimnisvolle Diebesbande
auf, Frau Hofer verbeugte sich lächelnd und nahm am Flügel Platz. Im Saal wurde es still. Die Sängerin schloß für einen Augenblick die Augen, die Hände lagen ruhig im Schoß, dann richtete sie sich auf, die Hände berührten vorsichtig die Tasten, als müßten sie sich hineinfühlen, ein erster, zögernder kleiner Triller erklang, verstärkte sich, und dann war es, als fege ein Orkan über das Instrument; eine sehnsuchtsvolle Beschwörung des Frühlings brandete wie ein reißender Strom über die Köpfe der Zuhörer. Tina bekam eine Gänsehaut und Tini faßte aus Versehen statt nach Tinas nach Tobbis Hand und drückte sie fest. Was Tobbi — kein bißchen erstaunt — erwiderte.
Lisas Hofers Stimme schien den Raum zu sprengen. Die Zuhörer verfolgten atemlos den kunstvollen Wechsel von tiefen, samtweichen Alttönen bis hinauf zu einem schmetternd-kräftigen Sopran.
„Sie kann mit ihrer Stimme malen!“ flüsterte Tina in der Pause zwischen zwei Liedern. „Was kommt jetzt? Zeig mal das Programm!“
„Jetzt kommt die Forelle. Und dann kommt der Zyklus mit den Marienliedern, das sind die schönsten. Aber dazwischen ist erst mal Pause.“
Da wurde hinter Tobbi die Tür leise geöffnet, eine breite Gestalt schob sich herein und ließ sich auf dem leeren Stuhl neben ihm nieder. Tini warf einen Blick zur Seite. Frau Wohlgemut! War es zu fassen? Wußte sich angeblich vor Bewunderung für die große Künstlerin nicht zu fassen und kam erst kurz vor der Pause!
Frau Hofer hatte geendet, und der Applaus donnerte wie ein Unwetter los. Frau Wohlgemut sprang auf und rief: „Bravo! Bravo!“ Andere taten es ihr nach.
„Erstaunlich, was die alten Leute für ein Temperament entwickeln“, flüsterte Tina. „Schaut nur, wie Frau Hofer strahlt, sie sieht vor Freude zehn Jahre jünger aus!“
„Wollen wir in der Pause zu ihr gehen?“ fragte Tobbi. „Nein, sie muß sich jetzt ein wenig ausruhen. Laßt uns lieber was trinken. Im Nebenzimmer werden Erfrischungen gereicht, habe ich gehört.“
„Das ist richtig“, mischte sich Frau Wohlgemut in ihr Gespräch. „Wir haben uns große Mühe gegeben, unsere Gäste zu verwöhnen. Ein Jammer, daß ich durch die Vorbereitungen in der Küche einen Teil des Programms nur von weitem habe hören können. Aber wir sind nicht rechtzeitig fertig geworden. Wollt ihr mir ein bißchen helfen? Ihr könntet die Platten mit den Schnittchen herumreichen.“
„Gerne!“
„Draußen ist alles auf einem Tisch aufgebaut, kommt, ich zeige es euch.“
Im Nebenraum waren bereits drei alte Damen damit beschäftigt, Sekt und Limonade in Gläser zu gießen. Aufeinem Tablett standen Kirschlikör und Cognac bereit.
„Hier sind die Platten. Wenn eine leer ist, gebt ihr sie Fräulein Herbst, das ist die zierliche Dame dort drüben, die holt euch dann Nachschub aus der Küche.“
„Das könnten wir doch auch selber tun“, meinte Tina. „Nein, nein, in ihre Küche läßt sie niemanden hinein, da ist sie ein wenig seltsam“, sagte Frau Wohlgemut mit einem Kichern. „Wie alte Leute eben manchmal so sind.“
„Na schön.“
Tina nahm eine der Platten, die mit buntbelegten Häppchen gefüllt war, und begann, sie den Gästen anzubieten. Besonders phantasievoll waren die Brötchen nicht, gestand sie sich ein. Eher ein bißchen trocken und langweilig. Wenn Tini und sie so etwas fabrizierten, sah es anders aus, bunt und lustig und so saftig, daß man mit Essen gar nicht aufhören konnte. Na ja, alten Leuten waren diese Dinge wahrscheinlich nicht mehr so wichtig und sie empfanden eine solche Arbeit eher als mühevoll.
Beinahe wäre sie mit Tini zusammengestoßen, als sie einen Schritt zurücktrat, um der Generalin auszuweichen. Tini hielt der Generalin ihre Platte unter die Nase und lächelte die alte Dame auffordernd an. Die Generalin nahm ein dünn mit billiger Leberpastete bestrichenes Schnittchen, auf dem eine halbe Kirsche lag und stopfte es in den Mund.
„Trockenes Zeug!“ murmelte die alte Dame und wandte sich ab.
„Recht hat sie“, flüsterte Tini, „wenn Frau Hofer oder Frau Neumann belegte Brötchen machen, sehen sie anders aus. Und unsere erst!“
„Dafür brauchen Frau Wohlgemut und ihre Freundinnen doppelt so lange dafür. Es kann eben nicht jeder eine begnadete Köchin sein“, gab Tina zurück. „Komm, da stehen Mutti und Frau Neumann, laß uns zu ihnen gehen.“
„Ist es nicht herrlich?“ empfing Frau Greiling die beiden Mädchen strahlend. „Dieser Abend wird noch
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