Die geheimnisvollen Zimmer
gefunden haben müsse. So begann er von Seite 200 an zu lesen. Er las sorgfältig Wort für Wort. Es war ein englisches Buch, offenbar eine sehr unterhaltende Lektüre leichterer Art. Aber Krag achtete nicht auf den Zusammenhang und hatte nicht das geringste Interesse für den Inhalt, denn er war vollkommen damit beschäftigt, in dem, was er las, einen versteckten Sinn zu finden. Aber er mußte lange lesen, ehe ihm das gelingen sollte. Keinem Wort, keinem Satz begegnete er, den er auch nur mit der geringsten Wahrscheinlichkeit mit diesem traurigen Drama hier in Verbindung hätte bringen können. Endlich sollte sein Forschen aber mit Erfolg gekrönt werden. Ganz unten auf Seite 248 fand er eine Zeile, die ihn stutzig machte. Es war ein Ausruf einer der Gestalten des Buches. Und Krag schien es, als ständen diese wenigen Worte ganz für sich allein und schrien laut, so deutlich standen sie in engstem Zusammenhang mit den Geschehnissen, die er nun hier mit erlebte.
Asbjörn Krag barg das Buch in seiner Reisetasche. Er wollte nun noch eine oder zwei Stunden ruhen. Aber ehe er sich zu Bett legte, öffnete er das Fenster, um ein wenig frische Luft zu atmen. Die Nacht war nach wie vor klar und kalt. Die Landschaft war in Mondlicht gebadet, fleckenlos weiß leuchtete der Schnee, in bläulichem Dunkel lagen die Häuser und Wälder, in tiefem Kohlschwarz die Schatten. Wie ein schwarzer Gürtel umschloß der alte Park das stille, tote Gutshaus. Nur Bengts Fenster waren noch erhellt. Sonst war alles Licht in dem großen Gebäude gelöscht, kein Laut, kein Anzeichen verriet, daß es von Menschen bewohnt war.
Der Detektiv schloß das Fenster und zog den Vorhang vor. Dann untersuchte er, ob die Tür verschlossen sei, nahm den kleinen schwarzen Kasten hervor und legte einen der goldbeschlagenen Revolver auf den Nachttisch. In dem Augenblick, da er sich zu Bett legte, waren alle Gedanken und Grübeleien aus seinem Kopf wie fortgeweht. Er schlief sofort ein.
*
Am nächsten Morgen um zehn Uhr war Asbjörn Krag bei der schönen Witwe Hjelm. Sie hatte bereits von dem Todesfall erfahren und war, wie sie Krag sagte, sehr schmerzlich davon berührt.
Als Arzt des Verstorbenen während seiner letzten Tage, behauptete Krag die Pflicht zu haben, möglichst alles ans Licht zu ziehen, was eine Erklärung geben könnte für die Ursachen, die Aakerholm zu seiner verzweifelten Tat veranlaßt hätten.
»Sie ist mir ebenso unerklärlich, wie Ihnen«, antwortete die Witwe.
Krag fragte sie, ob ihr an Aakerholms Benehmen während der letzten Zeit nichts aufgefallen sei.
»In den letzten vierzehn Tagen war er allerdings ein wenig absonderlich«, antwortete sie. »Ich weiß zwar nicht, was ihm fehlte, aber mit Selbstmordgedanken trug er sich sicher nicht, soweit ich es beurteilen kann.«
»Wann sollte Ihre Hochzeit sein?«
Krag bemerkte sofort, daß seine Frage ihr peinlich war und sie nur ungern auf dieses Thema einging, aber nach einem kurzen Nachdenken antwortete sie dennoch:
»Sie sollte in vier Wochen stattfinden. Aakerholm wollte den Termin möglichst beschleunigen.«
»Warum das?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Aber besonders in den letzten Tagen sprach er häufig davon, die Hochzeit auf einen noch früheren Zeitpunkt verlegen zu wollen. Er behauptete, es sei von großer Bedeutung.«
»Kennen Sie Aakerholms Pflegesohn?«
»Bengt? Ja, natürlich kenne ich ihn.«
»Wie stellte er sich zu dem Verhältnis zwischen Aakerholm und Ihnen?«
»Es behagte ihm nicht. Er arbeitete ihm aus aller Kraft entgegen.«
»Wäre es nicht denkbar, daß sein Verhalten schuld war an Aakerholms Verstimmung während der letzten Wochen?«
Frau Hjelm antwortete ausweichend:
»Aakerholm war nicht immer verstimmt; er hatte manche vergnügte Stunde.«
»Sie haben mir meine Frage nicht beantwortet.«
Sie wurde ein wenig unruhig. Nach kurzem Besinnen sagte sie:
»Aakerholm sprach häufig mit Bitterkeit von seinem Pflegesohn. Ich glaube tatsächlich, daß der Gedanke an seinen beharrlichen Widerstand ihn veranlaßte, die Hochzeit möglichst zu beschleunigen.«
»Aakerholm fürchtete also seinen Pflegesohn?«
»Nein, absolut nicht. Doch ich hatte den Eindruck, als fürchtete er etwas anderes.« »Etwas anderes?«
»In der letzten Zeit sprach er oft von einer Begebenheit in seinem Leben, die vielleicht sein Alter verdunkeln könnte.«
»Erwähnte er je, was das war?«
»Nein, aber es muß etwas sehr Ernstes gewesen sein.«
»Baten Sie ihn nicht, es Ihnen
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