Die Geisel
werden.« Er lächelte. »Ich bin wie Sie. Ich will nicht sterben.«
»Ich gehe nicht ohne sie.«
»Dann gehen Sie eben nicht.«
»Na schön«, sagte Corso leise.
Driver nahm den Karabiner in die Hände und zielte auf Corso. Genau zwischen die Augen. Corso hielt den Atem an. Er schloss die Augen und wartete.
»So sollte es nicht enden«, sagte Driver.
Corso wollte ihm beipflichten, brachte jedoch kein Wort heraus.
54
Vorsichtig öffnete Corso ein Auge einen Spalt. Der Karabiner war immer noch auf sein Gesicht gerichtet. Die Spannung hatte Melanie wieder ein wenig zu sich kommen lassen. Ihr Blick war unverwandt auf Driver und Corso gerichtet.
Corso holte tief Luft und hielt den Atem an. Drivers kalte Augen verrieten ihm nichts. Er schluckte ein paarmal. »Wenn Sie irgendwas Heroisches vorhaben, sollten Sie sich damit beeilen«, sagte er schließlich. »Ein Sondereinsatzkommando und Hubschrauber sind unterwegs.«
Driver ließ das Gewehr sinken. »Sie haben wirklich alles versaut, Corso.«
»Ich? Sie haben mich doch erst hier reingezerrt! Sie haben mich gezwungen, in Meza Azul aufzutauchen. Ich habe mich um meinen eigenen verdammten Kram gekümmert. Und dann haben Sie mich auf so eine Verbrecherkreuzfahrt quer durchs ganze Land mitgeschleift. Ich wollte nichts damit zu tun haben. Das hab ich bei jedem Schritt gesagt. Ich wollte nur da raus. Sie sind mir was schuldig.«
Drivers Augen waren hart und ausdruckslos wie zwei Stahlnieten. Seine zusammengepressten Lippen waren so dünn, dass sie aussahen wie eine Narbe. »Und was?«
»Sie schulden mir ein Ticket hier raus.«
»Dann gehen Sie doch.«
»Ich muss die beiden mitnehmen.«
Driver warf einen Blick nach hinten.
»Diese Arschlöcher haben meine Mutter umgebracht«, sagte er ohne echte Überzeugung.
Corso winkte angewidert ab. »Wir wissen doch beide, dass das Blödsinn ist. Sie waren vielleicht dabei, als es passiert ist, aber deswegen waren sie noch lange nicht der Grund. Sie hatte einen Herzinfarkt, weil sie ein krankes Herz hatte.« Er riss die Arme hoch. »Verdammt … Sie hatte schon damals mehrere Herzoperationen hinter sich, als ich sie kennen gelernt habe. Wem wollen Sie hier was vormachen? Wissen Sie noch, was Sie über Kehoe gesagt haben? Dass er Leuten weh tut, weil er sich dann besser fühlt.« Driver antwortete nicht, doch Corso fuhr trotzdem fort. »Wenn Sie auch so sein wollen … Naja, ich schätze, das müssen Sie dann mit sich selbst und Ihrem Gewissen ausmachen.« Er zeigte auf den kläglichen Haufen, den Marty und Melanie darstellten. »Aber reden Sie sich nicht ein, dass die beiden irgendwas mit dem Tod Ihrer Mutter zu tun haben, weil das Quatsch ist, und das wissen wir beide.«
Drivers Augen flackerten. Er wandte den Blick ab. Corso ließ nicht locker.
»Sie haben einfach bloß ihren Job gemacht, die Maschine am Laufen gehalten. Irgendjemanden zur Berühmtheit des Tages gemacht.« Driver richtete den Blick abermals auf Corso. »Berühmtheit ist zum Opium des Volkes geworden. Das neue Heroin. Alle wollen berühmt werden, auch wenn's nur für einen Tag, eine Stunde oder eine Episode der Abendsendung ist. Alle wollen ihre fünfzehn Minuten im Scheinwerferlicht. Sie und ich wir hatten unsere schon. Die Karawane zieht weiter. Immer weiter und höher. Größere und bessere Geschichten. Sie können nichts dafür, dass die Leute, für die sie arbeiten, Sie nicht ins Fernsehen lassen. Das beweist lediglich, dass ihre Arbeitgeber wesentlich mehr an sich denken als an die Leute, die für sie arbeiten.«
Ein langes Schweigen folgte. Endlich drängte Driver sich an Corso vorbei und ging in Richtung Fahrersitz. »Nimm sie mit«, sagte er. »Nimm sie mit, und sieh zu, dass du Land gewinnst.«
Corso reagierte schnell. Er hob die Kissen und den Deckel darunter an, wühlte in der Ausrüstungstruhe und fand ein paar Decken. Mit einem einzigen Ruck riss er das Tape von Melanies Mund. Sie wimmerte und rang nach Luft. Marty rührte sich nicht. Corso konnte seinen Puls fühlen.
Er fand die Enden des Klebebandes und wickelte es von ihren Hand- und Fußgelenken ab. Sie zitterte und kam nur langsam auf die Beine, doch sie schaffte es. Dann zog sie die Decke eng um sich und lehnte sich an die Wand, während Corso Marty in eine zweite Decke wickelte und ihn wie ein Kind auf die Arme nahm. »Geh«, sagte Corso zu Melanie.
Unsicher tastete Melanie sich den Gang entlang, wobei sie Driver nicht ein einziges Mal ansah, und stieg dann aus. Corso musste sich
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