Anatomie einer Affäre: Roman
Vorwort
Hätte es das Kind nicht gegeben, wäre vielleicht nichts von alledem passiert; doch die Tatsache, dass ein Kind daran beteiligt war, machte es so viel schwieriger zu verzeihen. Natürlich gibt es da gar nichts zu verzeihen; doch die Tatsache, dass ein Kind darin verwickelt war, flößte uns das Gefühl ein, es gebe kein Zurück mehr, es gehe um etwas Wichtiges. Die Tatsache, dass ein Kind betroffen war, bedeutete, dass wir uns ehrlich mit uns selbst auseinandersetzen, die Sache zu Ende bringen mussten.
Als es anfing, war sie neun, aber das spielt kaum eine Rolle. Ich meine, ihr Alter spielt kaum eine Rolle, weil sie schon immer etwas Besonderes war – sagt man nicht so? Sicher, alle Kinder sind etwas Besonderes, alle Kinder sind schön. Ich muss zugeben, dass ich Evie schon immer ein bisschen eigen fand; etwas Besonderes war sie also auch im altmodischen Wortsinn von »sonderlich«. Ihre Schönheit hatte etwas merkwürdig Exzentrisches an sich. Sie ging auf eine gewöhnliche Schule, doch schon damals war sie von einer gewissen Ambivalenz umgeben, einer Ahnung unausgesprochener Dinge. Selbst die Ärzte – gerade die Ärzte – beließen es bei einem vagen »Abwarten«.
Es gab also viele Sorgen um Evie – zu viele, fand ich, denn sie war ja auch ein reizendes Kind. Als ich sie besser kennenlernte, sah ich zwar, dass sie unleidlich sein konnte oder einsam; ich bezweifelte, dass sie glücklich war. Damals aber, als Neunjährige, hielt ich sie für eine schöne, klare kleine Person und für eine Art Geschenk.
Und als sie sah, wie ich ihren Vater küsste – als sie sah, wie ihr Vater mich küsste, in seinem eigenen Haus –, da lachte sie und wedelte mit den Händen. Ein schrilles, unvergessliches Johlen. Es war, dachte ich später, vor allem ein Lachen der Erkenntnis, zugleich aber eines der Gehässigkeit oder dergleichen – Schadenfreude vielleicht. Und ihre Mutter, die unten an der Treppe stand, rief: »Evie! Was machst du da oben?« Da blickte das Kind über die Schulter. »Los, komm jetzt runter.«
Wundersamerweise bewirkte die Stimme ihrer Mutter, so beiläufig und beherrscht, dass Evie glaubte, es sei alles in Ordnung, ungeachtet dessen, dass ich ihren Vater geküsst hatte. Und das nicht zum ersten Mal – obwohl ich diesen Kuss inzwischen als den ersten richtigen ansehe, als das erste offizielle Ereignis unserer Liebe: am 1. Januar 2007, als Evie mehr oder weniger noch ein Kind war.
There Will Be Peace in the Valley
Ich bin ihm im Garten meiner Schwester in Enniskerry begegnet. Dort sah ich ihn zum ersten Mal. Es hatte nichts Schicksalhaftes an sich, auch wenn ich das Licht des Spätsommers und die Aussicht hinzufüge. Ich stelle ihn ans untere Ende des Gartens meiner Schwester, nachmittags, zu dem Zeitpunkt, wenn der Tag sich zu neigen beginnt. Vielleicht um halb sechs. Es ist halb sechs an einem Sommersonntag in Wicklow, als ich Seán zum ersten Mal sehe. Er steht dort, wo das untere Ende des Gartens meiner Schwester ins Ungefähre übergeht. Gleich wird er sich umdrehen – aber das weiß er noch nicht. Er betrachtet die Aussicht, und ich betrachte ihn. Die Sonne hängt tief und wunderhübsch am Himmel. Er steht dort, wo der Berghang allmählich zur Küste hin abfällt, und hat das Licht im Rücken, es ist genau die Tageszeit, wenn sämtliche Farben ihre volle Strahlkraft entfalten.
Das ist nun schon einige Jahre her. Das Haus ist neu, und dies ist die Einweihungsparty meiner Schwester oder jedenfalls ihre erste Party, ein paar Monate nach dem Einzug. Als Erstes entfernten sie den Holzzaun, um einen Blick aufs Meer zu erhaschen, darum wirkt die Rückseite des Hauses wie eine Zahnlücke in der Reihe von Neubauten, den Ostwinden und neugierigen Kühen ausgesetzt; an diesem Nachmittag ein kleines Bühnenbild des Glücks.
Neue Nachbarn sind gekommen und alte Freunde und ich, mit ein paar Kisten Wein und dem Grill, den sie auf ihre Geschenkliste gesetzt und am Ende doch selbst gekauft hatten. Er steht auf der Terrasse, ein grünes Ding mit einem schwenkbaren Kübel als Deckel. Mein Schwager Shay – ich glaube, er trägt sogar eine Schürze – fuchtelt mit einer hölzernen Zange über Lammsteaks und Hühnerschenkeln und ploppt mit der freien, in die Luft gereckten Hand Dosenbier auf.
Fiona erwartet von mir, dass ich ihr helfe, weil ich ihre Schwester bin. Sie kommt mit einem Armvoll Teller an mir vorbei und wirft mir einen finsteren Blick zu. Dann fällt ihr ein, dass ich Gast bin, und
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