Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
alles Spuk?«, fragt die Frau am Telefon.
»Nicht alles. Viele berichten von Déjà-vu-Erlebnissen: Sie erleben Situationen und stellen fest, dass sie die Szenerie einer Situation schon einmal gesehen haben. Andere berichten von Wahrträumen – sie träumen Dinge vorher, die später wirklich eintreten.«
Die Frau am anderen Ende der Telefonleitung ist skeptisch. »Aber warum gibt es dann nur eine einzige Parapsychologische Beratungsstelle, wenn die Phänomene deutschlandweit so häufig auftauchen?«, fragt sie.
»Die meisten Menschen kommen recht gut mit diesen ungewöhnlichen Erlebnissen zurecht«, sage ich. »Sie wundern sich, schieben das Erlebnis gedanklich beiseite und vergessen es schließlich fast ganz. Nur wenn sich die Phänomene häufen, wird es schwierig. Wie integriert man Spuk in das normale Leben? Kann man Spuk weitererzählen? Wer glaubt einem? Unsere Gesellschaft ist sehr rational geprägt. Wir finden es ja nicht gerade selbstverständlich, jedes seltsame Phänomen durch die Existenz eines Geistes zu erklären. Wer öfter ungewöhnliche Erfahrungen hat, kann deshalb Probleme dabei bekommen, die Erlebnisse zu verarbeiten. Er wird ratlos und unsicher und fragt sich: Stimmt alles mit meinem Weltbild? Oder bin ich unter Umständen krank? Bin ich vielleicht sogar psychisch krank? Niemand will gern für verrückt gehalten oder auch nur in die Nähe einer psychischen Erkrankung gerückt werden. Deshalb schweigen viele Menschen lieber über ihre Erlebnisse, statt sich anderen anzuvertrauen. Sie fühlen sich ohnmächtig und erleben bisweilen sogar ein Gefühl von Kontrollverlust über sich selbst und das ganze Leben.«
»Und dann melden sie sich bei Ihnen?«, will die Frau wissen.
»Im Idealfall: Ja. Die meisten aber tun es nicht – aus Angst, dass sie für verrückt gehalten werden.«
2. Kapitel:
»Ich denke, also bin ich«
An der Tür klopft es leise. Frau Wald schiebt vorsichtig die Tür auf, linst in mein Büro und gibt mir ein Zeichen, dass ich nach und nach das Gespräch beenden möge. Nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub hatten wir noch kaum ein Wort miteinander wechseln können.
»Nun muss ich leider langsam Schluss machen«, sage ich in den Telefonhörer und nehme noch einen Schluck Tee.
»Eine Frage noch«, sagt die Frau schnell. »Eine letzte Frage noch.«
»Ja«, sage ich.
»Sie haben mir nur gesagt, dass Spuk in vielen Fällen mit einer Fokusperson zu tun hat. Hat also auch die stehen gebliebene Kompassnadel mit einer Person zu tun? Mit mir vielleicht?«
»Möglich ist es«, antworte ich.
»Aber wie funktioniert das?«, fragt sie. »Was hat das zu bedeuten?«
Ich atme durch. Eine gute Stunde aus dem Urlaub zurück, und ich bin schon wieder mittendrin.
»Gut«, sage ich. »Ich will Ihnen zumindest erklären, wo man nach einer Antwort auf Ihre Frage suchen muss.«
Ich bedeute meiner Mitarbeiterin, dass sie sich noch einen Moment gedulden möge. Sie nickt und schließt die Tür.
»Ich glaube«, hebe ich an, »man muss sich auf der Suche nach einer Antwort den Cartesischen Schnitt anschauen.«
»Welchen Schnitt?«, fragt die Frau.
»Der Cartesische Schnitt beschreibt eine Trennlinie zwischen der Welt der Gedanken und der Welt außerhalb unseres Körpers. Er beschreibt im Grunde die Trennung zwischen zwei Wissenschaften: hier die Psychologie, dort die Physik. Die Frage, ob die Welt da draußen wirklich existiert oder ob sie vielleicht nur ein Traum ist, hat sich sicher schon so manches Kind gestellt. Der französische Philosoph René Descartes, nach dem der Cartesische Schnitt benannt ist, hat diese Frage zum Ausgangspunkt seiner Philosophie gemacht. Er hielt die Welt des Geistes für das Grundlegendere, daher sein berühmter Ausspruch: ›Ich denke, also bin ich.‹ Die meisten Wissenschaftler glauben, dass man diese Trennlinie zwischen den Wissenschaften, diesen Cartesischen Schnitt, nicht überwinden kann. Die Welt des Geistes ist nicht direkt an die Welt der Physik anschließbar, wenn Sie so wollen. Viele Wissenschaftler meinen deshalb, dass man ein paranormales Phänomen entweder nur psychologisch oder nur physikalisch erklären kann. Sie glauben nicht, dass beide Wissenschaften etwas zur Erklärung von, zum Beispiel, Spukphänomenen beitragen können.«
»Ähm, Entschuldigung«, hakt die Frau am Telefon sehr vorsichtig nach. »Noch mal zum Mitschreiben: Wie meinen Sie das genau?« Sie räuspert sich, und ich suche ein geeignetes Beispiel zur Veranschaulichung:
»Man
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