Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
stöhnte Joséphine.
»Aber das hat doch nichts zu bedeuten. Die Leute reden eine Woche darüber, und dann haben sie es wieder vergessen … Kann ich noch etwas Käse haben?«
Joséphine reichte ihm den Camembert.
»Und was ist mit deiner Mutter?«, fragte Jo.
»Maman? Die wäre garantiert zu Iris gefahren und hätte ihr eine gescheuert. Aber sie ist nicht hier, und sie wird es nie erfahren …«
»Bist du sicher?«
»Klar, Jo. Glaubst du etwa, die lesen dieses Käseblatt auf Mustique? Außerdem ist das doch super! Was glaubst du, wie scharf die Mädchen jetzt auf mich sind! Die wollen alle was von mir! Ich bin der Star der Schule! Wenigstens für ein paar Tage …«
»Und das macht dir gar nichts aus?«, fragte Joséphine verblüfft.
»Du hättest die englischen Zeitungen zur Zeit von Diana erleben sollen, da konnte einem wirklich angst und bange werden! Kann ich den Camembert aufessen? Ist kein Brot mehr da?«
Jo schüttelte niedergeschlagen den Kopf. Sie war für Gary verantwortlich.
»Ach, Jo, mach nicht gleich ein Drama draus.«
»Das sagst du so leicht. Was glaubst du, wie es Philippe und Alexandre jetzt geht …«
»Sie brauchen es doch bloß als Spiel zu sehen. Als einen Spaß. Das Einzige, was ich gern wissen würde, ist, wie das Schmierblatt an die Fotos gekommen ist!«
»Das wüsste ich auch gern!«, schimpfte Jo.
Man sah Iris wieder im Fernsehen. Man hörte sie im Radio. »Ich verstehe die ganze Aufregung nicht«, äußerte sie sich auf RTL erstaunt, »wenn ein vierzigjähriger Mann mit einem zwanzigjährigen Mädchen zusammen ist, kommt er nicht auf die Titelseite aller Zeitungen! Ich bin für die Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Bereichen.«
Der Verkauf des Buchs zog erneut an. Die Frauen kopierten ihre Schönheitstipps, und die Männer zogen den Bauch ein, wenn sie sie irgendwo sahen. Man bot ihr eine eigene Nachtsendung auf Radio FM an. Aber sie lehnte ab: Sie wollte sich ganz auf die Literatur konzentrieren.
Fernab der Pariser Erregung saß Antoine auf den Stufen der Veranda und dachte nach: Er hatte die Mädchen in den Februarferien nicht zu sich holen können. Schon in den Weihnachtsferien waren sie nicht gekommen. Joséphine hatte ihn um die Erlaubnis gebeten, sie nach Mustique zu einer Freundin mitzunehmen. Die Mädchen freuten sich so darauf. Er hatte Ja gesagt. Weihnachten war trist gewesen, sie hatten kein richtiges Fest gehabt. Weil auf dem Markt von Malindi kein Truthahn zu finden gewesen war, hatte es Wapiti gegeben, das sie schweigend gegessen hatten. Mylène hatte ihm eine Taucheruhr geschenkt. Er hatte kein Geschenk für sie gehabt. Sie hatte nichts gesagt. Sie waren früh zu Bett gegangen.
Es ging ihm nicht gut in letzter Zeit. Bambi war von einem angriffslustigen alten Krokodil zerfleischt worden, als er eines Tages sorglos am Ufer eines Tümpels entlangspaziert war. Sein Tod hatte Pong und Ming völlig aus der Bahn geworfen. Beim Servieren schlurften sie in ihren alten Pantoffeln herein, ihre tränenfeuchten Augen lagen tief
in den Höhlen, sie aßen nicht mehr und legten sich beim geringsten Ärgernis auf ihre Matten, um sich auszuruhen. Er musste zugeben, dass Bambis Tod auch ihn getroffen hatte. Mit der Zeit war ihm das plumpe, anhängliche Tier, das an einem Bein des Küchentischs festgebunden war und ihn aus trüben Augen ansah, ans Herz gewachsen. Es war ein Bindeglied zwischen ihm und den übrigen Krokodilen. Ein freundlicher Mittler. Wenn er es genauer musterte, glaubte er, weit hinten in seinen Augen ein menschliches Funkeln zu entdecken. Manchmal lächelte es ihn sogar an. Es fletschte die Zähne und lächelte. »Glaubst du, er mag mich?«, hatte er Pong einmal gefragt und sich über Pongs zustimmende Antwort gefreut.
Nur Mylène ließ sich nicht unterkriegen. Ihr kleiner Laden florierte. Die Partnerschaft mit Mister Wei nahm immer konkretere Formen an. »Lass doch die blöden Viecher und komm mit mir«, flüsterte sie Antoine abends zu, wenn sie unter das Moskitonetz krochen. Wieder alles aufgeben, wieder ein Misserfolg, dachte Antoine verbittert, das ist alles, was ich tue: Misserfolge produzieren. Außerdem hieße das, vor den Krokodilen den Schwanz einzuziehen, und er wusste nicht, wieso, aber diese Vorstellung war ihm zuwider. Er wollte erhobenen Hauptes von diesen dreckigen Biestern weggehen. Er wollte das letzte Wort behalten.
Er verbrachte immer mehr Zeit allein mit ihnen. Vor allem abends. Tagsüber schuftete er. Aber
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