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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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leerte sie in der Dunkelheit.
     
    Am 6. Mai um sechs Uhr früh spürte Josiane die erste Wehe. Sie rief sich ihren Geburtsvorbereitungskurs in Erinnerung und maß den
Zeitabstand zwischen den einzelnen Kontraktionen. Um sieben Uhr weckte sie Marcel.
    »Marcel … Ich glaube, es ist so weit! Junior kommt.«
    Marcel richtete sich auf wie ein angeschlagener Boxer, stammelte, »er kommt, er kommt, bist du sicher, Choupette, großer Gott! Er kommt …«, verfing sich mit den Füßen im Bettvorleger, rappelte sich wieder hoch, tastete mit ausgestreckten Armen nach seiner Brille, warf das Wasserglas auf dem Nachttisch um, fluchte, setzte sich zurück auf die Bettkante, fluchte erneut und drehte sich hilflos zu ihr um.
    »Reg dich nicht auf, Marcel. Alles ist vorbereitet. Ich zieh mich jetzt an und mach mich fertig, du nimmst den Koffer da neben dem Schrank, holst das Auto, und ich komm runter …«
    »Nein! Nein! Du kommst nicht alleine runter, ich hol dich ab.«
    Er stürmte unter die Dusche, übergoss sich mit Eau de Toilette, putzte sich die Zähne, kämmte den Kranz aus rotem Haar um seinen kahlen Schädel und stockte, weil er sich nicht zwischen einem einfarbig blauen Hemd und einem mit feinen Streifen entscheiden konnte.
    »Ich muss doch gut aussehen, Choupette, ich muss doch gut aussehen …«
    Sie sah ihn gerührt an und deutete aufs Geratewohl auf eines der Hemden.
    »Du hast recht, das wirkt frischer, jünger … Und welche Krawatte, Choupette? Ich will ihn doch mit Krawatte in Empfang nehmen!«
    »Ach, eine Krawatte ist vielleicht nicht nötig …«
    »Doch, doch …«
    Er hastete in sein Ankleidezimmer und präsentierte ihr drei zur Auswahl. Wieder suchte sie eine aus, ohne überhaupt hinzusehen, und er stimmte ihr zu.
    »Ich verstehe nicht, wie du so ruhig bleiben kannst! Ich glaub, ich werd gleich ohnmächtig. Geht’s? Passt du auch genau auf, wie viel Zeit zwischen den Wehen vergeht?«
    »Bist du fertig im Bad?«
    »Ja. Ich geh jetzt runter und hol das Auto, und dann komm ich wieder hoch und hol dich. Du rührst dich hier nicht vom Fleck, versprochen? Es ist so schnell etwas passiert.«
    Er lief zur Tür hinaus. Kam wieder zurück, weil er die Autoschlüssel vergessen hatte. Lief wieder hinaus, kam wieder zurück: Er wusste nicht mehr, wo er das Auto geparkt hatte. Sie beruhigte ihn, redete ihm gut zu und sagte ihm, wo der Wagen stand. Er machte sich zum dritten Mal auf den Weg und rannte in die Küche.
    Sie lachte schallend auf, und er drehte sich verwirrt um.
    »Seit dreißig Jahren warte ich auf diesen Moment, Choupette, seit dreißig Jahren! Mach dich nicht lustig über mich. Ich glaub, ich steh das nicht durch …«
    Sie riefen ein Taxi, und Marcel überschüttete den Fahrer, der selbst acht Kinder hatte und den werdenden Vater im Rückspiegel spöttisch musterte, mit Anweisungen.
    Auf dem Rücksitz umschlang Marcel Josiane mit beiden Armen wie ein zweiter Sicherheitsgurt. »Geht’s, Choupette, alles in Ordnung?«, wiederholte er ein ums andere Mal, wischte sich den Schweiß von der Stirn und hechelte wie ein junger Hund.
    »Ich bekomme das Kind, Marcel, nicht du.«
    »Mir ist schlecht, mir ist schlecht! Ich glaub, ich muss mich übergeben!«
    »Aber nicht in meinem Wagen!«, rief der Fahrer von vorne. »Ich hab gerade erst meine Tour begonnen.«
    Sie hielten an. Marcel rannte zu einem Kastanienbaum und umarmte den Stamm, um sich wieder zu beruhigen, dann fuhren sie weiter zur Clinique de la Muette. »Mein Sohn soll im sechzehnten Arrondissement zur Welt kommen«, hatte Marcel beschlossen, »im besten, schönsten und teuersten Krankenhaus, das es gibt.« Er hatte die Luxussuite im obersten Stock reserviert, mit Dachterrasse und einem Bad so groß wie der Salon eines Botschafters.
    Vor dem Krankenhaus angekommen, gab Marcel dem Fahrer einen Hunderteuroschein, woraufhin dieser schimpfte, er habe kein Wechselgeld.
    »Ich will doch gar kein Wechselgeld! Das ist für Sie. Das war die erste Taxifahrt meines Sohnes!«
    »Na, wenn das so ist«, sagte der Fahrer und sah zu ihm auf, »dann gebe ich Ihnen meine Nummer, und Sie rufen mich ab jetzt jedes Mal an, wenn der Kleine aus dem Haus geht.«
    Um zwölf Uhr dreißig stieß der kleine Marcel Junior seinen ersten Schrei aus. Dem frischgebackenen Vater schwanden die Sinne, und er musste aus dem Kreißsaal gebracht werden. Josiane hielt den Atem an, als man ihr ihren feuchten, schmierigen, klebrigen Sohn auf den Bauch legte. »Mein Gott, ist er schön!

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